Südkorea im Gespräch im Bieler Seeland

Mannigfaltiger Austausch Korea – Schweiz im Sommer 2006

Bei der Freilichtausstellung Artcanal zwischen Bieler- und Neuenburgersee ist Korea zu Gast und im Centre PasquArt in Biel stellen koreanische Kunstschaffende aus. Eine Seeländerin, die seit Jahren in Korea auftritt, ist susanne muller (Prêles/Berlin). Ein Gespräch.

Die 15 koreanischen Künstlerinnen und Künstler, die bei Artcanal dabei sind, vertreten mehrheitlich eine eher minimalistische, auf die Poesie einzelner (Natur)-Formen fokussierte Haltung. Und die Ausstellung im Centre PasquArt trägt analog den Titel „Simply beautiful“. Ist das typisch für die koreanische Kunstszene?
Ich muss hier vorweg sagen, dass ich zwar zu vier internationalen Kunstfestivals in Korea eingeladen war und dabei manches beobachtet habe, aber nicht im engeren Sinn eine Kennerin der koreanischen Kunstszene bin. Mir ist aufgefallen, dass in Korea viel Performance gemacht wird, die oft auf einer starken Naturbeziehung aufbaut. Es wird aber auch in einem weiteren Kontext sehr viel mit Naturmaterialien gearbeitet und mit Naturformen. Vielleicht ist das spezifisch, asiatisch. Sie verwenden zum Beispiel das Oval und das Rund, wie es auch im Buddhismus vor kommt, sehr viel häufiger als das Eckige, das in Europa eine grosse Rolle spielt.

Wenn ich an Mahjong, die Austelllung zeitgenössischer chinesischer Kunst in Bern denke, so stand die Natur nicht eigentlich im Zentrum. Ist das also spezifisch koreanisch?
Korea ist eine Halbinsel. Durch die Trennung von Nord- und Südkorea ist es aber eigentlich fast eine Insel. Darum können sich kulturelle Traditionen trotz globaler Vernetzung stärker halten. Die Koreaner leben zwar grossmehrheitlich in Städten – es findet seit Jahren eine extreme Landflucht statt – aber am Sonntag gehen die Koreaner aufs Land und suchen dort in der Natur zum Beispiel Kräuter für ihre traditionellen Speisen. In Korea lebt man extrem urban und empfindet gleichzeitig naturbezogen. 

Die Künstlerinnen und Künstler, die bei Art Canal respektive im Centre PasquArt ausstellen, wurden von der in Seoul tätigen Art-Agentur von Laurencina Farrant-Lee und Laurence Geoffrey’s LTD vermittelt. Bei uns würde eher die Pro Helvetia oder ein unabhängiger Kurator einen solchen Part spielen. Wie ist diese Agentur zu verstehen?
Laurencina Farrant, die ich persönlich kenne, betreibt mit viel Engagement eine Institution zwischen Privatgalerie und Kulturmanagement. Sie vermittelt zu ihrem Kreis gehörende Künstler und Künstlerinnen auf privater Basis ins Ausland und sucht Netzwerke zu installieren, die sich wie von selbst ausweiten. Das gibt es bei uns so nicht. Korea funktioniert sehr amerikanisch, mit koreanischen Inhalten natürlich. Das heisst unter anderem, dass Kultur und Kommerz enger verbunden sind. Daneben gibt es aber auch private Stiftungen, die gerade in die andere Richtung agieren. Die Nine Dragon Heads-Symposien, an denen ich teilnahm, sind just ein solches Beispiel.

Wie kam die Verbindung mit der Schweiz zustande?
Laurencina Farrant-Lee hat eine gute Beziehung zur Schweizer Botschaft in Seoul und der bis vor kurzem in Korea tätige Schweizer Botschafter Christian Mühlethaler ist sehr kulturengagiert. Er hat auch im Fall Seeland die wichtigen, ersten Fäden gespannt.

Sie selbst waren seit 2003 vier Mal zu den internationalen Nine Dragon Heads- Kunstsymposien eingeladen. Was muss man sich darunter vorstellen?
Kopf der Symposien ist Park Byung-Uk, ein Künstler, Kurator, Organisator, Performer, der früher eine Zeit lang buddhistischer Mönch war. Ähnlich wie Harald Szeemann sucht er eine Vision zu verwirklichen. Er lädt Künstler aus allen Kontinenten ein, miteinander und oft in der Natur draussen performative Kunst zu machen. Die Symposien finden an verschiedensten Orten im Land statt. 

Sie sind erst vor wenigen Wochen vom diesjährigen Symposium in Korea zurückgekehrt. Was stand dieses Jahr im Zentrum?
2006 war das aussergewöhnlichste Symposium bisher. Es fand teilweise in der entmilitarisierten Zone zwischen Süd- und Nordkorea statt (DMZ), dort also, wo die Schweiz und Schweden seit 1953 mit einem Uno-Mandat „gute Dienste“ leisten. „Change Concept“ war das Thema des Symposiums, eine subtile Kunstprovokation. Ich selbst nahm gelbe Westen mit fluoreszierenden, silbernen Streifen mit, die ich mit dem Wort „change concept“ beschriftete. Die Anwesenden, auch die Militärs, forderte ich auf, sie anzuziehen.

Hatten sie denn auch Gelegenheit Nordkorea zu besuchen?
Wir waren tatsächlich einen Tag in Nordkorea, mit allen Restriktionen, die das bedeutete, wie keine Jeans, keine Kaugummi, keine Kameras etc. Wir besuchten den Nationalpark – wohl einen der schönsten, den es gibt. In Korea ist die Landschaft, mit Bergen und Wäldern und Wasserfällen, der Schweiz sehr ähnlich. Doch vor den Menschen in Nordkorea wurden wir absolut ferngehalten. 

Wer hat von diesem Symposium überhaupt erfahren, da gab es ja kein Publikum?
Dieses Jahr war besonders, nur ein einziger Journalist der Seoul Times durfte uns begleiten. Aber andere Jahre war das Fernsehen nonstop mit dabei und hat alles aufgenommen – vom Frühstück über Carfahrten bis zur Kunst. Korea hat eine unglaubliche Fernsehkultur. TV ist mitten im Leben. Wer unsere Symposien dann aber wirklich gesehen hat, weiss ich nicht. Zur Zeit arbeite ich zusammen mit Park Byung-Uk am Katalog zum elften Symposium 2006.

Diese totale Medienpräsenz steht für unser Empfinden in eigenartigem Widerspruch zur koreanischen Kunst, die ganz auf die Natur ausgerichtet ist. Wie ist diese Gleichzeitigkeit möglich?
Korea ist ein Land extremer Gegensätze. Man findet Pagoden auf den Dächern von Hochhäusern. Buddha und Konfuzius haben sich verbrüdert. Der eine steht für Tradition und Spiritualität, der andere für eine Gesellschaft, die im Rahmen ihrer ehtischen Vorstellungen Wohlstand erreichen will. Über Details und Kehrseiten kann ich mich nicht äussern, aber irgenwo da scheint der Grund zu liegen, dass diese Gegensätze in Korea gleichzeitig – spielerisch – gelebt werden und auch in der Kunst Ausdruck finden, zumindest in jener, die in Korea selbst entsteht. Es gibt ja auch berühmte koreanische Kunstschaffende, die in Amerika und Europa leb(t)en – Nam June Paik (1932-2006) etwa oder Kimsooja (geb. 1957), die westliche Elemente integrier(t)en. Kunst hat auch eine grosse Bedeutung für das Leben in Korea – von der Kinderfreundlichkeit der koreanischen Museen könnte man bei uns viel lernen. 

Wie weit haben die mehrfachen Aufenthalte in Korea ihr eigenes Kunstschaffen beeinflusst?
Ich denke schon, dass sich mein Denken gewandelt hat. In Korea schlafe ich koreanisch, direkt auf dem warmen Fussboden, ich esse Kimchi und mit Stäbchen und ich liebe die Grossstadt Seoul. Aber ich lebe schon länger einerseits in Prêles – also naturnah – und andererseits in Berlin, mitten in der Stadt. Ich brauche mindestens zwei Pole in meinem Leben, sie fliessen in meine Kunst ein. Ich nutze Technik mit Vergnügen, um damit die Wahrnehmung von Gewachsenem oder Gebautem in Frage zu stellen und neu zu formulieren. Kürzlich in der Tanzproduktion mit Susanne Müller Nelson, wo ich dank Funkverbindung zwischen Videokamera und Beamer Raumkonstruktion und –dekonstruktion gleichzeitig zeigen konnte und dadurch neue Seh-Erfahrungen enstanden. Oder diesen Sommer in der städtischen Galerie in Baden, die ich „unter Wasser“ setzen werde. Im Vergleich zu den koreanischen Kunstschaffenden ist mein Ansatz aber sehr viel experimenteller und auf die Gleichzeitigkeit beider Pole ausgerichtet.