Die Rückkehr zu den Wurzeln brachte den Erfolg

Ein Gespräch mit Luo Mingiun in Biel. August 2007

Im Frühjahr 2007 stellte die Bieler Künstlerin Luo Mingjun (44) erstmals in China aus. Anfangs September geht sie wieder, diesmal an die „sh contemporary“-Messe, mit einer Schweizer Galerie.

„Je suis ici“, sagt Luo Mingjun (in China kommt zuerst der Nachname, dann der Vorname). Sie ist durch Heirat Schweizerin geworden, lebt hier seit 20 Jahren. „Je suis ici“ meint, dass sie heute nicht einfach nach China zurückkehren und wieder Chinesin sein könnte, da das Hier inzwischen ein integrierter Teil ihrer selbst ist. Dennoch sind es stets zwei Kulturen, die mitdenken, wenn sie ihre künstlerischen Projekte entwirft.

In der Region kennt man Luo Mingjuns Schaffen – ihre kleinen China-Tusche-„Explosionen“ auf Papier zum Beispiel. Luo Mingjun macht mit, ist ebenso im Centre PasquArt wie im „Lokal.int“ anzutreffen. Seit China – in wirtschaftlicher wie in künstlerischer Hinsicht – zum globalen Thema wurde, hat sich ihre Situation verändert. Sie konnte jetzt wieder „nach Hause“ reisen, wurde hier Immer öfter zur Vermittlerin, zur Übersetzerin auch. Für die Künstlerin wurde es indes nicht einfacher. Sie war nun nicht mehr einfach die „Exotin“, von der man „chinesische“ Kunst erwartete. Mit der Veränderung der Wahrnehmung Chinas durch den Westen, ging es für sie nun plötzlich darum, ihr doppeltes Sein zu zeigen, es als Chance wahrzunehmen und ihm auch künstlerisch Ausdruck zu geben.

Eine erste Form fand sie in den „süssen Waffen“ und den „kleinen Dingen“ – einer gestylten Handtasche, Lippenstiften, einer Reisschale, einem Schwingbesen, einem Tampon. Stets mit China-Tusche auf saugkräftiges Papier gezeichnet, damit die Konturen nicht klar werden, sondern im Papier ausufern, abstrahlen und damit gleichsam energetisch aufgeladen wirken. Mit den „sweet weapons“ verweist Luo mit einem guten Schuss westlicher Ironie auf Maos Verbote modischer Accessoires, die nicht zuletzt darum heute in China zelebriert werden. Anders als ihre chinesischen Kollegen verbindet sie das Pop-Artige aber mit traditionelleren Werten, indem sie bei der Zeichnung bleibt, China-Tusche verwendet und die Dinge Im Bildraum freistellt, eingedenk der buddhistische Lehre, wonach Leere auch Fülle bedeuten kann.

Vor rund 3 Jahren drängte sie Xu Tan, dessen Werke schon 1998 in Bern zu sehen waren, sie solle doch in China ausstellen. Die Zeit war indes noch nicht reif; erst 2006 kam es zum Kontakt mit dem Creek Art Center in Shanghai und im Frühjahr 2007 zur ersten Ausstellung „zu Hause“ (zusammen mit René Zäch). Es war eine aufregende Zeit, nicht nur weil die Ausstellung mehrfach angesagt und verschoben wurde, sondern auch weil es für Luo Mingjun gewissermassen um die „Hochzeit“ ihrer entzweigeschnittenen Biographie ging. Ein kleines Video, in dem sie in Schweizer Kreuzstichen ihre chinesische Aussteuer stickt, gab dem Empfinden Ausdruck. Zur Ausstellung erschien – erstmals – ein retrospektiver Katalog mit einem wichtigen Text von Bernhard Fibicher.

Plötzlich geht es Schlag auf Schlag. Der Genfer Galerist Pierre Huber und der einstige Art Basel-Direktor Lorenzo Rudolf planen für September 2007 zusammen mit Zhou Tiei die „sh contemporary“-Messe in Shanghai. Zur Teilnahme eingeladen ist die Basler Galerie Gisèle Linder. Es kommt zum Kontakt mit Luo Mingjun, die nicht nur beratend tätig wird, sondern auch als Künstlerin auf Echo stösst. Die Bilder, die Luo im Juni 07 bei Linder an der Art Basel zeigt, werden grossenteils verkauft; für viel zu niedrige Preise, sagen die Sammler. „Preise sind ein sehr schwieriges Kapitel“, sagt Luo Mingjun und warnt vor Steigerungen, wie sie aktuell Furore machen. Dennoch wird auch sie sich anpassen müssen, denn obwohl sie arbeite wie noch nie, habe sie immer weniger Werke, sagt sie. Und ist sich klar: „Ich profitiere vom momentanen Interesse an chinesischer Kunst.“

Doch das beflügelt die Künstlerin auch. Für Shanghai hat sie mit einer wichtigen neuen Werkgruppe begonnen. Inspiriert von der „Rückkehr ihrer Jugend“, hat sie Fotos aus ihrer Studienzeit an der Akademie in Hunan (1979-1983) hervorgenom-men und zeichnet sie – jetzt mit Bleistift – anhand von vergrösserten Fotokopien nach. Dabei geht es nicht um Gruppen-Porträts, sondern um Erinnerungen; die einen Figuren sind noch lebendig, andere wie verschwunden. Ein Blatt liebt sie besonders: Studenten (darunter sie selbst) am Fuss eines uralten Baumes. „In China war es immer Sitte, dass Auswanderer unter einem solchen Baum beteten und den Baum baten, sie nicht zu vergessen. Ich möchte davon noch eine zweite, viel grössere Fassung machen.“ Weitere Projekte sprudeln im Gespräch; man hat den Eindruck, die Künstlerin sei auf einem Höhenflug; nicht (nur) weil Erfolg Kraft gibt, sondern weil sie ihr Leben heute als Ganzes leben kann.