Kunst muss gelebt werden

Das lokal.int in Biel ist auf Kurs. August 2007

„Art has to be lived“ – mit diesem Slogan trat das lokal.int an der Off- und Newcomer-Messe „Liste/07“ in Basel auf. Unter www.lokal-int.ch ist das „Lokal“ weltweit im Netz. Aber eigentlich ist es in Biel.

„lokal.int“ – nie gehört? Verpasst als es monatlich an die Untergasse einlud? Nicht gemerkt, dass es jetzt in einem alten Kiosk an der Aarbergerstrasse (schräg vis-à-vis des leerstehenden Swisscom-Gebäudes) zuhause ist? Kein Problem. Alternative Event-Kultur findet heute nämlich vielfach zweigleisig statt; in kleinem Rahmen real an einem definierten Ort und in weltweiter Vernetzung im World Wide Web.

„Der Internet-Auftritt ist für uns sehr wichtig“, sagt Chri Frautschi, Initiant des lokal-internationalen Bieler „Off-Space“, „darum pflegen wir ihn mit sehr viel Liebe“. Tatsächlich kann man da in alle Vernissagen, Ausstellungen, Internventionen, Performances, Konzerte seit der Gründung im April 2006 über eine kleine, bewegliche Foto-Sequenz Einblick nehmen und erfährt in einem kurzen Text, wer da was und vielleicht warum gemacht hat. Anfänglich war es ja noch zahm – einmal im Monat wechselte die Ausstellung, aber dann kommt unter dem Datum 8./9. Februar 2007 der kleine, lapidare Satz: „die ausstellung wurde leider von einem brand gestört.“

Der Schock dauerte indes nur kurz, vielleicht war er Chri Frautschi sogar Motivation, noch präziser das zu suchen, was ihm vorschwebte – nicht ein Ausstellungsraum, sondern ein belläufiger, unterschwelliger, urbaner Ort, an dem Kunst kurz und intensiv – quasi auf der Strasse – gelebt wird und wieder weiter zieht. Nur zwei Monate später, im April 2007, beginnt bereits die Fortsetzung, im und vor dem einstigen Kiosk an der Aarbergerstasse 84, der in den letzten Jahren auch schon als Rahmenatelier respektive als „African Buffet“ diente und aktuell leer stand. Von nun an ging es Schlag auf Schlag, im Wochentakt lädt das lokal.int. zur Vernissage ein, jeden Donnerstag von 18 bis 21 Uhr. Das Stammpublikum – darunter zahlreiche Bieler Künstlerinnen und Künstler – trifft sich mit Gelegenheitsbesuchern, dem Künstler oder der Künstlerin des Abends, deren Freunde, diskutiert über Kunst, Gott und die Welt, vernetzt sich und vereinbart vielleicht schon ein weiteres Event an einem anderen Ort – in Luzern, in Zürich, in Berlin, wo auch immer.

Bis zum darauffolgenden Mittwoch haben Passanten dann Gelegenheit durch die vergleichsweise grosse Fensterfront in den kleinen Raum hineinzuschauen oder in einem der Fenster-Carrés ein Video zu verfolgen; noch bis heute abend zum Beispiel die kleine Sequenz „ferner liefen“ von Anna Mahler, Li Duenner und Livia Winiger, die zeigt wie drei Bräute in langen weissen Kleidern zum Justizia-Brunnen in der Bieler Altstadt kriechen, kopfüber in den Brunnen tauchen und diesen auf der anderen Seite tropfnass wieder verlassen und weiterkriechen. Ein Beitrag zur Ausstellung „surréalités“ im PasquArt?

Am Donnerstagmorgen entwickelt sich dann Hektik, es wird abgebaut, um- und aufgebaut, installiert und organisiert und um 18 Uhr ist Vernissage.

Das Konzept des Bieler lokal.int ist nicht gänzlich neu. Vorbild war für Chri Frautschi insbesondere das Berner MarksBlond-Project, das seit Jahren in einem Schaukasten Ein-Abend-Ausstellungen ähnlicher Art organisiert. Chri Frautschi war da schon 2004 Gast mit seiner eigenen Kunst. Das Bieler lokal.int hat noch nicht den Ruf des ungleich ambitionierteren Berner Projekts, aber seit das Lokal Mitglied der Schweizer Off-Spaces ist, strahlt es eine (verdiente) Selbstsicherheit aus, was zur Folge hat, dass sich der Kreis der Kunstschaffenden, die in Biel „etwas machen“ möchten, stetig ausweitet und das Lokal sogar am Stand der Schweizer Off-Spaces an der parallel zur Art stattfindenden „Liste“ in Basel präsent ist.

Für traditionelle Vorstellungen von Kunst-Präsentation mag es unverständlich sein, dass ein Kunstschaffender – oder zwei oder drei miteinander – quasi für einen einzigen Abend ein Konzept erarbeiten und umsetzen und dabei nichts als Kosten einfahren. Doch Kunst hat heute auf einer von mehreren Ebenen sehr stark Netz-Charakter, das heisst, man will Kunst nicht ausstellen, sondern gemeinsam erleben, sie an immer anderen Orten unkompliziert zeigen – als eine Art interaktiver Performance. Das ist das Erfolgsrezept, auch des lokal.int in Biel. Kommt spezifisch bielerisch hinzu, dass das Lokal auch eine Musik-Schiene hat – immer wieder treten statt bildenden Künstlern, Musiker auf – „kopfhörer“ heisst das Programm im Programm. Tatsächlich steht dann eine Gruppe von Menschen vor dem Lokal, die alle mit Kopfhörer behelmt sind und der Klänge lauschen, die da im kleinen „Space“ generiert werden.

Am neuen Standort an der Aarbergerstrasse haben seit Februar 2007 agiert:
strØm aus Biel (kopfhörer), Didier Cattoen (Gast in Biel), Gertrud Genhart (Basel), Turbomag (Biel), Patrick Harter (Basel), Pat Noser (Biel), Luo Mingjun (Biel)

Was demnächst kommt:
Beni Weber (Biel, 30.8.) Joel Tettamanti (Beitrag Fototage 7.-30. 9.) Jerry Haenggli (Biel, 4.10.) Peter Spillmann/Susanne Schär (Basel, 11.10.) Nicolas Bourquin (Berlin, 25.10.) Hans Koch/Gaudenz Badrutt (kopfhörer, 28.10.) Pixelpunk (Biel, 1.11.) Urs Dickerhof (Biel, 8.11.) Hannah Külling (Biel, 15.11.)