Aeschlimann Corti Stipendium 2008

Die neuen Medien und die Frauen

Annelise Zwez, Bieler Tagblatt, 19. April 2008

Mit Spannung wird jedes Jahr das Resultat des bernischen Aeschlimann-Corti-Stipendienwettbewerbs erwartet. Heute Samstag, 19. April 2008, ist im CentrePasquArt in Biel Cheque-Übergabe.
Werden ausgezeichnet: Marianne Flotron, Quynh Dong, Nadin Maria Rüfenacht, Egle VidoQuynh Dong, Egle Vido, Nadin Maria Rüfenacht und Marianne Flotron heissen die vier Preisträgerinnen des diesjährigen Aeschlimann-Corti-Stipendien-wettbewerbs. Es sind durchwegs Künstlerinnen, die primär mit Fotografie und/oder Video respektive Lichtprojektionen arbeiten. Es scheint dass die Jury mit Susanne Kulli, Vanessa Achermann, Dolores Denaro, Karim Noureldim und Juri Steiner ihren Blick sehr stark auf die mediale Umsetzung aktueller Themen ausrichtete. Und darob das Zeitlose individueller Bildfindungen in traditionelleren Ausdrucksformen wie Zeichnung, Malerei oder Objekt beiseite schob.

Dass auch andere Konstella-tionen denkbar gewesen wären, spricht indes für die Qualität der aktuellen jungen Berner Kunstszene und der Ausstellung im CentrePasquArt im Speziellen. Zu sehen sind nicht nur Werkproben der vier Ausgezeichneten, sondern auch von 15 weiteren Künstlern und Künstlerinnen, die aus den anfänglich 81 Bewerbungen hiefür ausgewählt wurden. Es ist denn auch dieser Überblick zur Aktualität, der die Ausstellung überaus spannend macht, indem sie so Gegensätzliches wie vibrierende Setzkästen (Zimoun) mit «barocker» Malerei (BorisBillaud) auf eine Ebene stellt.

Wo sind die Männer?

Zum zweiten Mal in Serie gehen der Hauptpreis in Höhe von 25 000 und die drei Förderpreise von je 15 000 Franken an vier Frauen. Das wundert angesichts der seit langen Jahren zu beobachtenden grossen weiblichen Mehrheiten in den Schweizer Kunsthochschulen nicht. Aber es irritiert, und man fragt sich, ob die jungen Männer in der Kunst nichts mehr zu sagen wagen.

Den Hauptpreis erhält an der heutigen Vernissage die junge Bernerin Quynh Dong, die 1982 in Hai Phong (Vietnam) geboren wurde und 1990 im Rahmen der damaligen Boat People-Aktion mit ihren Eltern in die Schweiz kam. Die 28-jährige Künstlerin, welche 1999-2004 die Schule für Gestaltung in Biel besuchte und 2008 nun auch die Ausbildung an der Hochschule der Künste Bern abschliesst, ist eine «logische» Preisträgerin. Sie schuf zum richtigen Zeitpunkt die (politisch) richtige Arbeit. Dies nicht etwa strategisch, sondern ganz aus ihrem eigenen Lebensempfinden heraus.

«Der Balkon» zeigt rund 20 nass in nass gemalte unscharfe Schwarz-Weiss-Aquarelle von Menschen, an die sich Quynh Dong nur vage erinnert, die aber dennoch allgegenwärtig sind, was sie über einen lediglich Licht projizierenden, ratternden Projektor spürbar macht. «Aquarium» ist in Ergänzung dazu eine Video-Installation, die behutsam leise ihre Mutter zeigt, wie sie in der Küche einer Mehrfamilienhaus-Wohnung in Bümpliz sitzt und in Gedanken versunken ihr Handy dreht und wendet oder (in Überblendung) zum Fenster hinausschaut, während von der Strasse unablässig Lärm eindringt.

Quynh Dong ist es mit beiden Arbeiten gelungen, das heisse Thema der «Migration» eindringlich, mehrschichtig und sehr persönlich umzusetzen. Die Aktualität und Qualität der Arbeit machte es für die Jury fast zum «Must», diese und keine andere mit dem «grossen» Preis auszuzeichnen.


Offene Situation

Wesentlich offener ist die Situation bei den Förderpreisen. Naheliegend war die Auszeichnung der 2008 das Meisterschülerdiplom an der Hochschule Leipzig abschliessenden Nadin Maria Rüfenacht (geb. 1980 in Burgdorf), sind ihre präzise inszenierten «Stillleben» doch bereits im Markt und werden, im Gegensatz zu den Werken der anderen Stipendiatinnen, international gezeigt. Der Zeitpunkt ist indes richtig, ist es doch der Künstlerin eben jetzt gelungen, mit der Serie «Le Cirque de Jeanne» an die Qualität der früheren «barocken» Memento Mori-Stillleben gleichwertig anzuknüpfen.

Erstaunlicher ist die Auszeichnung der in einem Atelier der Reichsakademie Amsterdam arbeitenden Marianne Flotron (geb. 1970 in Meiringen), ist die Künstlerin doch bisher kaum in Bern aufgetreten. Überzeugt hat die Jury ein Video, das in einer Art Trainings-Rollenspiel den Disput zwischen einem Arbeitgeber und einer «gefeuerten» Arbeitnehmerin zeigt, unpersönlich (man sieht die Köpfe der beiden Protagonisten nicht) und dennoch emotional, aber zugleich in gewissem Sinn kontrolliert. Kann man die Erarbeitung prototypischen Verhaltens als relevant nachvollziehen, macht die Gleichzeitigkeit eines Kasten-Objektes, das eine brennende Glühlampe im Innern via eine Linse auf der Wand sichtbar macht, die Fassbarkeit des Werkes sehr vage.

Auch das Potenzial der durch Vervielfachung gesteigerten, konstruktiven «Schwarzlicht»-Bildprojektion der Thunerin Egle Vido (geb. 1980 in Litauen) ist im Moment noch schwierig abzuschätzen. Einerseits überzeugt das Minimalistische des Linearen, die einfache digitale Umkehr des Lichtes von Neonröhren in Schwarzlicht, aber erst die Zukunft wird zeigen, inwieweit die Künstlerin den eingeschlagenen Weg auszuweiten vermag.

Kurzum, es wären auch andere Förderstipendien möglich gewesen, zum Beispiel für den inLeipzig studierenden Stefan Guggisberg, dessen Malerei wie auch seine minutiösen Zeichnungen überzeugen, oder an Marianne Engel, deren Fähigkeit, Fotografie in unheimliche Zonen voranzustossen, immer wieder beeindruckt, oder auch an den Klang an die Schmerzgrenze treibenden Sam Graf.

Die Ausstellung dauert bis 11. Mai.

Info:
Das Aeschlimann-Corti-Stipendium wird von der Berner Kunstgesellschaft verwaltet.

Neben den Preisträgerinnen sind in der aktuellen Ausstellung mit dabei:
Boris Billaud, Kaspar Bucher, Romana del Negro, Marianne Engel, Sam Graf, Stefan Guggisberg, Zimoun, Patrizia Karda, Andrea Nyffeler, Kerim Seiler, Francisco Sierra, Nadin Städler, Reto Steiner, Corina Steiner/Elke Lehrenkrauss, Andreas Tschersich.