Glückliche Tage? _Museum Allerheiligen Schaffhausen 2008

Kindern in die Augen geschaut

www.annelisezwez.ch  Aargauer Zeitung 7. Juni 2008

„Glückliche Tage?“ im Museum Allerheiligen in Schaffhausen ist die erste Ausstellung, die sich mit dem Kind in der Kunst in der Schweiz befasst

Annelise Zwez

Das Hauptverdienst der Ausstellung „Glückliche Tage? – Kinder in der Schweizer Kunst vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart“ ist, dass sie stattfindet. Denn mit Staunen hat Markus Stegmann, Direktor der Kunstabteilung des Museums Alle-rheiligen in Schaffhausen, festgestellt, dass in der Schweiz noch nie jemand dem gemalten Kind in die Augen geschaut hat. Und so beginnt er denn gleich mit „100 Kinderaugen“, das heisst, dem Porträt und hängt rund 40 Beispiele in dichte Zwiesprache quer durch die Zeit. Was für ein Wandel von Johann Ulrich Schnetzlers „Knabenbildnis in Husarenuniform“ aus dem 18ten bis zu Annelies Strbas selbst-bewusstem Schulmädchen aus dem 21ten Jahrhundert! Und doch sind die Blicke durch Malstile und Repräsentationsformen hindurch letztlich zeitlos, unabhängig davon ob sie den „Fritzli“ von Fritz C. Baumann von 1917, den Brugger Maler Adolf Stäbli als Knabe von August Weckesser, 1849, oder den kranken Alberto Giacometti, 1909 gemalt von seinem Onkel Giovanni, zeigen. Das berührt.

Ausgangspunkt der Ausstellung das Bildnis eines ängstlich blickenden Mädchens eines unbekannten Malers des 20. Jh., das Markus Stegmann im Depot des Museums entdeckte und dessen „traurige Grundfärbung“ ihn „magisch“ anzog. Seine Schau ist dementsprechend keine rührselige, sondern eine im Editorial des Kataloges mit „Die ersten Tage der Nacht“ überschriebene. Es ist ein Versuch durch die Hand der Maler, später auch Fotografen, hindurch Freud und Leid  aus dem Empfinden des Kindes heraus zu zeigen. Zum Beispiel anhand Adolf Dietrichs 1915 gemaltem Knaben am Rockzipfel seiner Mutter nachdem ihn ein Schneeball seines Bruders getroffen hat. Aber ebenso im frischfröhlichen Stolz der kleinen „Patrizia auf dem Schaukelpferd“ von Varlin von 1971. Ob, wie bei Dietrich, mit feinem Pinsel  im Kleinformat herausgeschält oder, wie bei Varlin, in expressiver Gestik  grosszügig gepinselt, der Ausdruck des Kindes bestimmt das Bild.

Stegmann hält den roten Faden des Ambivalenten durch alle fünf Kapitel seiner Ausstellung ein, ob es ums „Paradies“, um „Spiel und Lebensernst“ oder um den „Abschied von der Kindheit“ geht. Und konsequent bleibt er auch bei der Durch-mischung der Zeiten – da trifft ein idyllisches Schäferstündchen zweier Jugendlicher von Franz Buchser von 1878 ungefiltert auf eine formal ähnlich angelegte, aber unmissverständlich gewalttätige Begegnung zweier frei als heranwachsend interpretierbarer Figuren von Martin Disler von 1981.

Inhaltlich ist das spannend, visuell aber nur schwer zu inszenieren, vor allem Malerei und Fotografie will sich direkt nebeneinander selten verbünden, die „Kinder von Bauffremont“ von Johann Melchior Wyrsch von 1785  optisch nicht mit den fotografierten Kindern einer ägyptischen Familie von Chantal Michel von 2002 einher gehen.

Die Ausstellung umfasst rund 80 Bildwerke, verteilt auf  fünf kleine Säle. Damit ist sie zu klein, um das Thema wirklich zu greifen, um es relevant aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu führen. „Mehr als  ein Thema antippen, ist für eine kleines Museum nicht möglich“, sagt Markus Stegmann. Immerhin, ein Anfang ist  gemacht und der Katalog dokumentiert ihn überzeugend.

Info: Bis 21. September 2008. Katalog: 48 Franken, Verlag Scheidegger & Spiess. Link: www.allerheiligen.ch