Ist teure Kunst auch wirklich gute Kunst

UBS-Kulturforum Thun vom Mai 2008

www.annelisezwez.ch, Bieler Tagblatt 3. Juni 2008

Der Markt mit zeitgenössischer Kunst spielt verrückt, die Rekorde jagen sich. Doch ist die Millionen-Kunst ihren Preis wert? Am UBS-Kulturforum in Thun wurden Antworten gesucht.

Während der Berner Uni-Professor Oskar Bätschmann die Haltung vertritt, dass der Akt des Kunst Kaufens ein Akt der Wertvernichtung sei, sagen Auktions-Gurus, jeder Preis(rekord) schreibe (Kunst)-Geschichte. Und beide haben Recht. Marktbeobachter schätzen, dass neun von zehn Kunstkäufen kommerziell im Sand verlaufen, das heisst die Werke sind 20 Jahre später  wegen fehlendem Markt-Interesse kaum mehr verkäuflich. Andererseits sei das medienwirksam lancierte „teuerste Kunstwerk der  Welt“, der „Diamond Skull“ von Damien Hirst mit dem bewusst mystifizierenden Titel „For the love of god“ bereits heute eines der bekanntesten Werke der Welt und somit seinen 100-Millionen-Preis wert.

Damien Hirst: Der Diamond Skull will das teuerste Kunstwerk der Gegenwart seinDass das alles gar nichts Neues ist,  belegten zwei Referate am UBS-Kulturforum in Thun von letzter Woche. In seinem brillanten Exposé zeigte Oskar Bätschmann auf, dass es bei der zeitgenössischen Kunst nicht viel anders sei als zu Zeiten des Reliquien-Handels.  Schon damals habe man eine Reliquie für den Kult „zubereitet“, denn erst der Glaube machte sie echt.  Und Dirk Boll vom Auktionshaus Christie’s verwies auf August den Starken, Kurfürst von Sachsen, der für die „Sixtinische Madonna“ von Raffael 1754 einen Weltrekord-Preis bezahlt habe und das so laut er konnte publizierte, um Prestige zu gewinnen.

Über Sein oder Nichtsein am Markt entscheiden nicht zuletzt die bei uns oft auf die heute beginnende Basler Kunstmesse „Art“ hin publizierten Künstler-Rankings. Sammler wehren sich in der Regel dagegen, auf solche Listen zu achten und betonen die Autonomie ihrer Kauf-Entscheide. Doch, so die Meinung der Fachleute  in Thun, „niemand schaue ohne Wissen dessen, was ihn umgebe“.  Und so werden auch dieses Jahr in Basel die Mechanismen spielen.

An der  aufgeheizten Situation ist  nicht zuletzt die Globalisierung schuld, die neue prestigesüchtige „Fürsten“ aus Russland, China, Indien usw. auf den Plan rief. Die Folge davon ist, dass es heute zum „Business of being an artist“ gehört, es  in 18 Monaten von der Entdeckung bis zum Sekundärmarkt  zu schaffen. Das heisst, eine Galerie lanciert einen Akademie-Abgänger und verkauft dessen Werke; das ist der Primärmarkt. Läuft die Sache gut und die Preise steigen, werden die ersten Sammler bereits 18 Monate später am Sekundärmarkt, das heisst über den Kunsthandel oder Auktionen,  wieder verkaufen, um den Wertzuwachs einzufahren und möglicherweise erneut Entdeckungen zu erwerben. Vielleicht statt dem Werk eines chinesischen Malers jetzt neu eines indischen, dem jüngsten Trend am Markt der Begehrlichkeiten.

Schnell ist der Vorwurf bereit, dass dies alles mit künstlerischen Inhalten nichts zu tun habe und grosse Kuratoren bis hinauf zur „documenta“ werden nicht müde, ihre Marktunabhängigkeit zu proklamieren. Aber auch sie sind konditioniert und ein Charles Saatchi – einer der wichtigsten „Königsmacher“ – ist natürlich nicht blind, wenn er Künstler oder Kunstrichtungen lanciert, wie seinerzeit die „Young British Artists“ mit Damien Hirst  als Anführer. Das heisst , nur wer die Zeit spürt, die Bedürfnisse der Gesellschaft richtig einschätzt, kann einen Hype landen. Hiess der Zeitgeist in den 1990er-Jahren „Life Style“, so ist heute unter anderem „Neue Ernsthaftigkeit“ gefragt, welche niemand so repräsentiere, sagen Galeristen und Sammler, wie die jungen Maler der  „Leipziger Schule“ mit Neo Rauch, Thomas Weischer  und anderen, deren Preise innert weniger Jahre von Null auf Millionenhöhe kletterten.

Vergleicht man das, was sich da auf internationalem Parkett abspielt mit den lokalen Kunstszenen,  mit dem Joli mois de mai in der Bieler Altstadt, wo man kürzlich „Panini-Kunst“ im Dreierpack für 150 Franken kaufen konnte, so wird die enorme Diskrepanz  zwischen oben und unten drastisch spürbar. Denn den Rekorden dort steht ein gegenüber den 1980er-Jahren deutlich verringertes Mass an Bereitschaft gegenüber, Kunst ohne Marktchancen zu kaufen. Für 90% aller Künstlerinnen und Künstler ist das nicht nur ein existenzielles Problem, sondern auch eine schmerzhafte Erfahrung. Gefragt sind somit nicht noch mehr Rankings, sondern Idealismus Kunst um ihrer Inhalte willen zu erwerben, um mit diesen zu leben und nicht mit Preis-Schildern. Aber vielleicht ist das naiv. Am UBS-Artforum in Thun, wo sich Kunstfachleute, Sammler und Galeristen aus der Schweiz und aus Deutschland trafen, herrschte jedenfalls nach zwei intensiven Tagen ziemliche Ratlosigkeit.

Links: www.saatchi-gallery.co.uk, www.artbasel.com