Jörg Leist Galerie 25 Regina Larsson Siselen 2008

Die neue Lust an der Vergangenheit

www.annelisezwez.ch         Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 20. Oktober 2008


Galt bisher, dass  der Bieler Zeichenlehrer Jörg Leist (geb. 1926) 1974 aufgehört habe Kunst zu machen, so überrascht er nun bei Regina Larrson in Siselen mit Arbeiten der letzten 10  Jahre.

Das Überraschendste an der Ausstellung von Jörg Leist in der Galerie von Regina Larrson in Siselen ist zweifellos der Zusatz „…und Arbeiten aus den letzten 10 Jahren“.  Denn in der Biographie des langjährigen Bieler Zeichenlehrers stand bisher stets: „Nach dem Brand des Ateliers im Jahre 1974 legte er den Pinsel weg und widmete sich fortan der Musik“. 

Die von Andreas Meier, einst Schüler von Jörg  Leist, im Museum PasquArt eingerichtete kleine Retrospektive von 2001 belegte zum einen die Richtigkeit dieses Satzes, zeigte aber gleichzeitig mit Nachdruck, dass Jörg Leist mit seinen konstruktiven Werken aus den späten 1950er- bis in die frühen 1970er-Jahre am Puls der Entwicklung der zeitgenössischen Kunst in der Schweiz gestanden hatte. Diese löste sich damals von der Gegenständlichkeit, um in dynamischen Setzungen von Flächen sowohl im Bild wie in der Skulptur freie Kompositionen zu schaffen.
 
Wenn „Arbeiten der letzten 10 Jahre“ angekündigt werden, so stimmt das, aber nicht im Sinne eines späten Neuanfangs. Viele Arbeiten tragen nämlich zwei Jahrzahlen, zum Beispiel 1967/2003. Das heisst, Jörg Leist hat die 1974 nicht gänzlich verbrannten Werke nicht liquidiert, sondern in einem Lager aufbewahrt. So dass er sie  nun neu betrachten, eventuell verändern und, so weit nötig mit Hilfe von Dritten, restaurieren konnte. Wobei aus der Arbeit an der Vergangenheit zuweilen neue Ideen,  respektive neue Werke entstanden.
„Es ist eine Art Testament“, sagt der 82-Jährige, der heute auf den Rollstuhl angewiesen ist. „Ich erfuhr in der langen Zeit seit meinem Schlaganfall (1982) so viel Unterstützung, dass ich all diesen Menschen ein Werk vermachen möchte; die Arbeiten sind darum auch nicht verkäuflich.“

Die Ausstellung in Siselen hat indes nur am Rand mit Sentimentalität zu tun, denn die Revitalisierung der wichtigsten Epoche in Leists künstlerischem Schaffen zeigt sich als echte Bereicherung der bernischen Kunstgeschichte der 1950er- bis 70er-Jahre.  Die Werke  zeigen reiche Vernetzungen mit internationalen Strömungen, behalten darin durch viel subtiles Gespür aber eigenständige Qualität.  Insbesondere die zahlreichen Reliefarbeiten erweitern das Bild des Künstlers im Vergleich zur Ausstellung von 2001 im PasquArt. Es wird einsichtig, dass es Leist immer wieder gelang, Geometrie durch feine „Ungleichheiten“ zu dynamisieren und dadurch in bewegte Spannung zu versetzen. Format im doppelten Sinn des Wortes zeigen die Werke überdies durch ihre physische Präsenz.  Ein Surplus bilden die Räume der Galerie, die durch die Spuren ihre einstige Funktion als  Käserei geradezu in Dialog treten mit den ausgestellten Werken.

Dass sich Leist Ende der 1960er-Jahre von der kritisch-kommentierenden Tendenz in der Schweizer Kunst anstecken liess, zeigt insbesondere das installative Werk „Metamorphose auf der Karriereleiter“, das heute so aktuell ist wie damals, auch wenn der Gedanke an die Risiken des Fallens heute wohl schneller kommt als damals und die angekohlten Hutmacher-Formen geradezu symbolisch wirken.

Warum Leist der bildenden Kunst nach 1974 abschwor, ist nicht klar. Die Freude des Künstlers an seiner eigenen Ausstellung zeigt zumindest, dass es nicht Verzweiflung am eigenen Tun war. Vielleicht  war es ganz einfach eine Zäsur, um fortan der zweiten Begabung, jener des Musizierens, mehr Raum zu geben.

Info: Bis  16. November.  Offen: Fr/Sa/So 14 – 19 Uhr.