Kunstrückblick 07 – Bieler Jahrbuch 2007

Highlights im PasquArt und Heiteres rund um den Brunnen

 

 

www.annelisezwez.ch       Annelise Zwez in Bieler Jahrbuch 2007, erschienen im Mai 2008

Die Brunnen der Stadt waren früher eine Art interaktive Zentren; da hörte man, da sah man, da tauschte man sich aus. Im Bieler Kunstjahr 2007 findet man überraschend viele solcher Brunnen. Die lokale Kunstszene hat sich wie kaum je zuvor in Szene gesetzt. Der von der Künstlergesellschaft visarte.biel veranstaltete sechste „Joli mois de mai“ in der Alten Krone war erneut ein erfolgreiches Stelldichein der Bieler Künstlerschaft.  Nicht weniger als 25 kulinarisch begleitete Ein-Abend-Ausstellungen mit KünstlerInnen wie Michael Medici, Philippe Hinderling, Jerry Haenggli, Eve Monnier, Carla Etter, Erica Pedretti, Monika Stalder, Zdevan Qumr, susanne muller u.v.a.m. fanden statt und viele waren mehr als Moment- Improvisationen. Gut werden sie alle von visarte-Präsident Robert Schüll fotografisch dokumentiert.

Ein zweites Stelldichein gab sich die Szene heuer im „lokal.int“. Zwar begann es tragisch. Im Februar brannte es im „Lokal“ an der Untergasse. Trotz Schäden kommen die Betreiber, Chri Frautschi und Carlos Munoz, gerade noch mit einem blauen Auge davon. Aber es ist das Ende des „lokal.int“ in der Altstadt. Doch schon Ende April startet „lokal.int“ neu – im ehemaligen Kiosk an der Aarbergerstrasse, mit einem Konzept, das sich seither noch deutlicher ans Berner „marks blond project“ anlehnt. Will heissen: Jeden Donnerstagabend um 18 Uhr ist Vernissage – ob bei sinkender Sonne oder Regen, warm oder kalt – man trifft sich zum kleinen Kunstevent mit Bildern, Videos, Installationen im oder auch mal am oder auf dem Kiosk.

Wer Kontakt zur Szene sucht, findet ihn hier in typisch unorganisierter Bieler Atmosphäre; primär, aber keineswegs nur deutschsprachig. Didier Cattaeon aus der Bretagne, der in der ersten Jahreshälfte als Gast des Kantons in Biel weilte, war jedenfalls begeistert und zeigte seine visuellen Sprach-Spiele zwischen deutsch und französisch mit subversiven Lächeln. Auch  für die in Wien lebende französische Fotografin Tatjana Lecomte, die in der zweiten Hälfte des Jahres als Stipendiatin in Biel weilte, zeigte hier Beispiele ihres Schaffens. Die „kopfhörer“-Konzerte nicht mit eingerechnet, fanden von Mai bis Dezember nicht weniger als 20 Kunsttreffen statt, mit mehr Bielern denn je. Genannt seien Urs Dickerhof, Luo Minjung, Pat Noser, Monsignore Dies, Turbomag (Freymond, Wyss, Horni, Blunier), Jerry Haenggli und das Haus am Gern.

Auch der Espace libre – der Kunstraum der visarte im Centre PasquArt – gab sich 2007 bielerischer denn je; mit Installationen von hiesigen KünstlerInnen wie Suzanne Castelberg, Bettina Wachter, Franziska Wagner und Michael Medici.

Bescheidener Input

Stünden die Tänze rund um den Brunnen in einem Gleichgewicht mit Künstler-Gästen aus der ganzen Schweiz und  weit darüber hinaus, man könnte sich restlos freuen über die Aktivität der Bieler Kunstszene in der eigenen Stadt. Doch diesbezüglich erstem ist die Bilanz ernüchternd. Von Museum und Photoforum PasquArt sowie Bieler Fototagen abgesehen, war der Input – die Präsentation von Werken wichtiger Kunstschaffender aus anderen Regionen und Weltgegenden – geradezu erschreckend bescheiden.

Gewiss, im „lokal.int“ konnte man u.a. auch das Luzerner Trio An_Lili, das Basler Duo Peter Spillmann/Susanne Schär kennen lernen und die Galerie Silvia Steiner – die heuer ihr 40-Jahr-Jubiläum feierte – zeigte unter anderem neue Werke des Tessiner Altmeisters Flavio Paolucci und experimentelle Malerei der in London lebenden Bernerin Christina Niederberger. Die Galerie Quellgasse stellte unter anderem grafische Multimedia-Kammerstücke der Basler Künstlerin Cécile Hummel und der Solothurnerin Verena Baumann sowie Kaleidoskopische Malerei und Skulptur des Berners Claude Hohl aus. Und als eines der Highlights des Jahres inszenierte Roman Signer auf Einladung des Architekturforums vier Aktionen  als Requiem für die Vereinigten Drahtwerke.

Die Liste ist keineswegs vollständig (man vergleiche mit dem Kalender) und sie schaut auch nicht hinaus in Seeland, doch kommt man als Ganzes nicht darum, ausserhalb der öffentlichen Institutionen, von einer provinziellen Situation zu sprechen. Gut, dass die Bieler Kunstschaffenden selbst  über den Tellerrand hinausschauen und in Biel deswegen keineswegs  nur provinzielle Kunst entsteht – das zeigte zum Beispiel die „Weihnachtsausstellung“ im Museum PasquArt, die, nach Ansicht der Bieler Kunstkommissions-Präsidentin Betty Stocker,  „mit vergleichbaren Veranstaltungen in anderen Regionen durchaus mithalten konnte“.

Interessant ist aus diesem Blickwinkel zu betrachten wie denn die Bieler Kunstschaffenden 2007 in der übrigen Schweiz und im Ausland präsent waren.

Am weitesten gebracht haben es  zweifellos Luo Mingjun und René Zäch, die  – nicht zuletzt dank Luo Mingjuns chinesischer Abstammung – im März gemeinsam in Shanghai ausstellten. Gefolgt werden sie von f&d cartier, die ihre Fotogramme im Juni im Istituto Svizzero in Rom zeigten.  An der Art in Basel suchte man die Bieler vergeblich, aber an der nicht ganz so prominenten „“Kunst Zürich“ konnte man im November unter anderem Werke von Romana del Negro, Gregor Wyder und – mit einer One-Man-Show –  M.S. Bastian entdecken.

Ansonsten sind es vor allem Berner Galerien, die Bieler Kunstschaffende zeigen. Pat Noser und Luo Mingjun zum Beispiel hatten 2007 wichtige Ausstellungen im Kunstkeller und Béatrice Gysin zeigte eine raumgreifende Zeichnungsinstallation in der Galerie Bis Heute, während Urs Dickerhof bei Martin Krebs die Kunst-Zeit nach dem Rücktritt als Leiter der Schule für Gestaltung in Biel einläutete. Das Haus Am Gern (Rudolf Steiner, Barbara Meyer-Cesta) eröffnete nicht nur Heinrich Gartentors mobile Galerie „Links“ (immer ein Raum links von einer bestehenden Galerie) in Bern, sondern zeigte auch in „Les Halles“ in Porrentruy eine spannende Gruppenausstellung zur  Jura-Frage unter dem Titel „Je ne sais quoi“ (mit dabei u.a. René Zäch).

Chris Weibel und Berndt Höppner verlagerten ihre Ateliers in Alfermée derweil ins Stadthaus Olten und gestalteten da während eines Monats ein wechselvolles „Work in progress“. Und gleich die halbe Bieler Künstlerschaft zog im Dezember für eine Gruppenausstellung ins Künstlerhaus S11 nach Solothurn. Martin Ziegelmüller bestritt zur selben Zeit eine Einzelausstellung in der Galerie Mäder in Basel und eine One-Man-Show im KUKU (Kunst und Kultur in der Alten Spinnerei in Rothrist/AG). Auch diese Liste ist nicht vollständig. Nicht unerwähnt bleiben darf die Präsenz in der nationalen Freilichtausstellung in Môtiers, mit Installationen von Hannah Külling, Erica Pedretti, susanne muller, Haus am Gern und der mittlerweile halt mehr zürcherischen Bieler Gruppe Relax.

Internationales im Museum

Von markanter künstlerischer Qualität darf man sprechen, wenn man auf die Kunst zeigenden, öffentlichen Institutionen Biels schaut: auf die Ausstellungen im Museum und im Photoforum PasquArt, auf die Bieler Fototage, die Stiftung Sammlung Robert.

Dass die Ausstellungen im Museum PasquArt Bedeutung haben, liegt nicht zuletzt daran, dass die grosszügigen Räumlichkeiten die Kunstschaffenden anregen, insbesondere im Bereich der Installation Neues und Eigenes zu verwirklichen. So verwandelte sich der grosse Saal anfangs Jahr in einen lichtdurchfluteten weissen Weltall-Tunnel (Claudia di Gallo), wurde danach von Isabelle Krieg in eine Landschaft mit verkohlten dünnen Buchstaben-Baumstämmen ( „I refuse to be depressed“) verwandelt, war dann eine  im Rahmen der Sammlung des Neapolitaners Ernest Esposito eine Italienische Piazza mit San Pellegrino-Springbrunnen (Rob Pruitt) , um in der Folge unter dem Stichwort der Themenausstellung „Surréalités“ in eine märchenhafte Traumlandschaft mit Luft, Licht und Farbe zu mutieren (Victorine Müller) und schliesslich ein philosophisch vielschichtiges Licht-Universum mit digitalen Projektionen (Charles Sandison) zu werden.

Jedes Jahr widmet Direktorin Dolores Denaro mindestens eine Ausstellung einem in der Region tätigen Künstler. Die Retrospektive des Malers Gian Pedretti (geb. 1926) rückte neben dem in La Neuveville entstandenen Hauptwerk erstmals  auch das malerische und plastische Frühwerk (inklusive Schmuck und Erfindungen) ins Blickfeld, und dies mit Gewinn. Zu allen Hauptausstellungen (ausser Esposito) konnte eine Publikation realisiert werden, was für die Ausstrahlung des durchschnittlich besuchten Bieler Kunsthauses (2007 zählte man 13’500 Eintritte) von grosser Bedeutung ist. Wichtig ist darum auch, dass das Haus kürzlich eine Übereinkunft mit dem renommierten Verlag Moderne Kunst Nürnberg eingehen konnte, der jährlich drei Titel verlegt und diese damit europaweit bekannt macht (2007 Claudia di Gallo, Gian Pedretti und Surréalités).

Ein kleines Jubiläum konnte das Museum PasquArt  2007 in Bezug auf die jährlichen, internationalen Themenausstellungen feiern, war doch „Surrealités – Aspekte des Surrealen in der zeitgenössischen Kunst“ bereits die fünfte ihrer Art. Weil eher eine Haltung oder einen Stil umschreibend und nicht im engeren Sinn ein Thema, war die diesjährige Ausgabe etwas weniger kohärent als ihre Vorgängerin-nen („Helden heute“ oder „Branding“ zum Beispiel), brachte aber mit Werken von Jonathan Monk, Lotte Hannerz, Garry Hill, Gloria Friedmann, Li Wei, Emanuelle Antille, gar der Bielerin Pat Noser , ein tolles internationales Potpourri nach Biel.

Auch das Programm des Photoforums machte interessante Positionen sichtbar und die Fototage unter dem Stichwort „Nicht-Orte“ zeigten nach dem Wechsel von Barbara Zürcher zur Co-Direktion von Hélène Cagnard und Catherine Kohler ein erneuertes, weniger auf Geschichten als vielmehr auf Bild als Bild ausgerichtetes Konzept (vgl. hiezu die Texte auf den Seiten….)

Nicht unerwähnt bleiben dürfen 2007 die Aktivitäten der im Museum Neuhaus domizilierten Stiftung Sammlung Robert, die aus Anlass ihres 25-Jahr-Jubiläums mit mehreren Ausstellungen an die Öffentlichkeit trat. Im Frühjahr mit einer originellen Hommage an das Gründer-Ehepaar Spinner. Walter Kohler-Chevalier – unermüdlicher Motor der Stiftung –  spiegelte ihren von der Naturauffassung der Robert bestimmten „Garten Eden“ in Form einer Vielzahl von Pflanzen-Drucken quer durch die Jahreszeiten, Yvan Kohler ergänzte dies mit einem Film und Jeanne Chevalier mit Fotografien. 

Es folgte im Sommer die Präsentation des sich im Besitz der Stiftung befindlichen Robert-Hauses im Jorat und seit anfangs Dezember werden die zugleich künstlerischen wie wissenschaftlichen Aspekte der Natur-„Illustrationen“ der Maler-Dynastie Robert in Dialog mit Umwelt- und Naturschutz-Erkenntnissen gestellt. 


Zurück in die Galerien-Szene. Hier verabschiedete sich Lotti Michel nach fast 40jähriger Tätigkeit nun definitiv von der Bildfläche, während Silvia Steiner mit berechtigtem Stolz auf vier Jahrzehnte ununterbrochener Schau-Tätigkeit an der Seevorstadt 57 zurückblickte. Waren in den ersten Jahren noch ab und zu Bieler Kunstschaffende ihn ihrem Programm, konzentrierte sie sich daraufhin auf wichtige Schweizer Positionen, die ohne sie wohl nie in Biel gezeigt worden wären. Angesichts der Tatsache, dass es aktuell keine professionelle Galerie für Bieler Kunstschaffende in der Region gibt, sind in den letzten Jahren wieder vermehrt lokal tätige Künstler und Künstlerinnen ins Programm gerückt, zu nennen ist etwa Ise Schwartz oder M.S. Bastian/Isabelle L. , die mit Pulp und seinen Freunden aus „Bastropolis“ die Geburtstagsausstellung bestritten.

Traurig ist hingegen die Geschichte des 2006 gegründeten ArtCorner an der Zentralstrasse. Der ehemalige Bieler Unternehmer Ulysse Aschwanden, der sich mit der Galerie einen Jugendtraum erfüllte, kam im Sommer 2007 mit seinem Kleinflugzeug in Kanada ums Leben. Die ein gemischtes Programm mit Schwerpunkt „Graffiti“ zeigende Galerie gerät daraufhin in die Schwebe. Doch im Dezember geht es überraschend weiter; die immer schon mit arbeitende Witwe des Galeristen, Helene Aschwanden, setzt auf Zukunft; mit einer Ausstellung des in Biel aufgewachsenen Laurent Guenat.

Aktiv waren im Laufe des Jahres auch die Gewölbe-Galerie in der Bieler Altstadt sowie die Snake-Gallery in Nidau. Aus dem Programm der letzteren sei vor allem die vielseitige Retrospektive Benz Salvisberg erwähnt. Auch rund um den See – insbesondere in Ligerz, Vinelz und Siselen – fanden zum Teil wichtige Ausstellungen mit Bieler- aber auch gesamtschweizerisch bekannten Kunstschaffenden statt. Erwähnt sei zum Beispiel die überraschende Rückkehr des in Biel lebenden Erlachers Erich Müller-Santis (geb. 1927) in den Ausstellungsbetrieb (Galerie Vinelz) oder die One-Man-Show von Pavel Schmidt in der Galerie 25 by Regina Larsson in Siselen.