Luo Mingjun Ausstellung im Museum PasquArt in Biel

Die Heirat zweier Leben

www.annelisezwez.ch Bieler Tagblatt, 28. Juni 2008

Heimspiel im Centre PasquArt. Heute Samstag werden die Einzelausstellungen von Urs Dickerhof und Luo Mingjun eröffnet. Beide sind wichtige Figuren in der Bieler Kunstszene.



Mit Sieben-Meilen-Stiefeln ist Luo Mingjun in den letzten zwei Jahren künstlerisch voran geeilt.  Zunächst hatte sie  der Boom der chinesischen Kunst verunsichert, denn schonungslos stellte er die Frage nach ihrer Identität. Fast 20 Jahre hatte sie versucht, chinesische Mal-Tradition in eine im Westen verständliche und zugleich zeitgenössische Form zu giessen; nicht ohne Erfolg. Da öffneten sich plötzlich die Türen für die Generation, mit welcher sie einst an der Akademie von Hunan studierte. Was nun? Sie war inzwischen keine Chinesin mehr, aber in ihrer Seele auch keine Schweizerin.

Jahrelang suchte sie, arbeitete mit Werkgruppen wie den „little objects“ Schritte auf eine Versöhnung hin.  Aber erst als 2006 eine Einladung für eine Ausstellung in Shanghai im Jahr 2007/08 kam, öffneten sich auch für sie die Türen, in umgekehrte Richtung. Wie eine Braut bereitete sie sich auf die „Heirat“ vor: Sie bestickte einen riesengrossen Gaze-Streifen mit kleinen Fundstücken und Wort-Fragmenten von hier und dort – amour rend tout possible – heisst es an einer Stelle, ein Handy weist auf Kommunikation, „Terrorist“ und anderes in chinesischer Schrift  auf globale Themen.

Umfloss der Streifen in Shanghai  die Mauern des Ausstellungsraumes einem Strom gleich, liegt er jetzt  mit vielen spitzen Stecknadeln drapiert in der langen Vitrine von „Parkett 2“ und trägt den Titel „Douleur“. Auch das Video, das in der Tiefe  eines „Ziehbrunnens“  im Zentrum der Salle Poma zu sehen ist, entstand für Shanghai. Es zeigt die Künstlerin, wie sie ihre aktuelle schweizerische und ihre alte chinesische Identitätskarte – erstaunlicherweise haben beide dasselbe Format – zusammennäht.

Das Video hat seinen Platz nicht zufällig, denn Luo Mingjun hat die gesamte Salle Poma in ein riesiges, rotes Bilderpotpourri verwandelt, das vergrösserte und auf rot/schwarz auf Stoffbahnen gedruckte Fotos aus ihrem Leben in China einst, von späteren Besuchen und von ihrem Leben in der Schweiz  assoziativ kombiniert: Mingjun als junges Mädchen, mit ihrer Eltern, ihrer Schwester, Mingjung in einer Ausstellung in Neuchâtel, eine chinesische Landschaft, eine Disco, ein Schriftstück, die Heirat, die Söhne,  das Label „Chanel“, im Gespräch mit Chri Frautschi usw. Es ist diese Installation, welche der Ausstellung den Titel gegeben hat: „Poussière rouge“. Ein Begriff, der in China für das irdische Leben, seine Mühen und seine Freuden steht.

Es ist eine überwältigende, auch sehr persönliche Installation, die Luo Mingjun für ihre erste Museums-Einzelausstellung inszeniert hat. Sie geht dahingehend über das Private hinaus, als das Thema kulturübergreifender Identitätssuche in unserer Zeit viele Menschen betrifft. Gedruckt wurden die Stoffbahnen übrigens sinnigerweise in Shanghai.

Bezüglich der künstlerischen Entwicklung von Luo Mingjuns malerischem Werk ist die Installation allerdings nur insofern relevant, als die persönliche Arbeit mit Fotografie hier und dort relevant ist. Im Mittelpunkt der Präsentation stehen hier Zeichnungen und Acryl/Öl-Bilder auf Leinen, die von Fotos aus ihrer Jugend ausgehen. Darin geht es nun aber nicht mehr primär um Erzählerisches, sondern um die stark präsente, zum Teil auch verblasste Erinnerung an die Wirklichkeit hinter den Bildern. In den aufwändigen Zeichnungen konzentriert sich Luo Mingjun auf die Schraffur der dunklen Stellen – eines Kleidungsstückes, der Haare, der Architektur zum Beispiel – während die hellen Teile papieren belassen sind. Die Übertragung der Fotos erfolgt aufgrund einer eingescannten und vergrösserten A4-Skizze.

Die Bilder auf Leinen gehen einen entscheidenden Schritt weiter auf diesem Weg der malerischen Interpretation. Sie zeigen, im Gegensatz zum Zeichnerischen, nicht die Schatten, sondern gestalten die Figuren, die Landschaft, die Gassen anhand von kleinen und grösseren weissen Lichtflecken. Die Bilder entfernen sich damit noch stärker von der ursprünglichen Foto und werden zu „impressionistischen“ Gemälden jenseits der privaten Basis und Motivation der Künstlerin. Mit dieser stilistischen Eigenart verrät Luo Mingjun nicht zuletzt ihre Ausbildung in China, die in der unmittelbaren Nach-Mao-Zeit wieder sehr stark auf westliche Malerei ausgerichtet war. Das Impressionistische kommt also nicht von ungefähr, nur dass Luo Mingjun es nun erstmals zeigt und zwar in einer fluiden Balance, die das West-Ost-Thema in faszinierender Weise verschmilzt.

Luo Mingjun
Geboren am 14. Februar 1963 in Nanchong in der Provinz Sichuan.
Wächst zur Zeit der Kulturrevolutionin Changde auf.
Ab 1979 Studium an der Hunan-Universität in Changsha.
1987 lernt sie in Tibet den Schweizer François Wagner kennen.
Umzug nach Biel und Heirat.
1988/1996 Geburt von Steven und Tayan.
Etabliert sich als Künstlerin in Biel
1997-2001 Mitglied der Städtischen Kunstkommission
Unternimmt vermehrt Reisen nach China und stellt regelmässig aus.