Mireille Gros in Langmatt und Hans Trudel Haus Baden 2008

Mit den Vögeln unterwegs über das weite Meer

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Aargauer Zeitung 16. 09. 2008

Mireille Gros hat mit zwei parallelen Ausstellungen in Baden einen grossen Auftritt. Die Akzente in Langmatt und Hans-Trudel-Haus sind freilich nicht dieselben.

Am Anfang war zwei Mal die gleiche Idee: Die in Basel und Paris lebende Aargauer Künstlerin Mireille Gros (geb. 1954) für eine Ausstellung zu gewinnen. Nach erstem „leer schlucken“, entschlossen sich Rudolf Velhagen (Museum Langmatt) und Brigitta Rosenberg (Galerie Hans-Trudel-Haus) indes für ein Doppelpack. Mit Gewinn, denn Gros realisierte zwei Ausstellungen, die durch die Hintertüre einen spannungsreichen Dialog führen.

Dass die Langmatt Mireille Gros einlädt, als Sommergast 2008 auf die Impressio-nisten-Sammlung der Industriellen-Familie Brown zu reagieren, liegt auf der Hand, denn die Natur ist sowohl für die Plein-air-Maler wie für Mireille Gros ein wichtiges Thema, nur je ganz anders. Die seit Aufenthalten in Mali (2002) verstärkt soziale Aspekte integrierende Künstlerin wählte als Ausgangspunkt bezeichnenderweise nicht ein Paradestück, sondern die „Wäscherinnen am Ufer der Touques“ von Eugène Boudin von 1895; ein Kleinformat, das eine Fluss-Landschaft, im Hintergrund  jedoch auch die rauchenden Kamine der Industrialisierung zeigt.

Ihr Konzept stellt Gros gleich an den Anfang. Sie ersetzte das in der Bibliothek hängende Boudin-Bild durch eine schwarz-weisse Pinselzeichnung mit aufgewühlten Wellen. Damit kontrastiert sie die Üppigkeit der Impressionisten und der Innenausstattung der Villa durch einen Rückzug auf farbreduzierte, fragmentarische Beobachtungen. Diese Vorgehensweise zieht sie durch und zwar keineswegs nur affirmativ, sondern immer wieder Fragen stellend, sich dem Regen aussetzend, das Gesicht des Meeres hinterfragend; bei Tagesanbruch ebenso wie bei Nacht.

Ein zweiter „Coup“ gelang Gros mit der Idee Boudins Bild zu spiegeln. Zwei Wand-zeichnungen zeigen, dass die Verdoppelung nach links die Idylle verstärkt,  nach rechts aber den Rauch der Kamine ballt und die Frauen zusammendrängt. Dieses überraschende Fazit spiegelt sich in den Zeichnungen. Und auch die von Gros unkonventionellerweise zur Kooperation eingeladene Fränzi Madörin, Sängerin der Basler „Reines prochaines“,  evoziert dieselbe Atmosphäre, wenn sie in ihrem „Audio-Guide“ einerseits das Wasser elektronisch an- und abschwellen lässt und an anderer Stelle rät, die Räume „auf dem Rücken schwebend“ zu erkunden.

Die Wäscherinnen von Toques finden sich in einem Video im Hans-Trudel-Haus als geschäftige Afrikanerinnen in den Strassen von Bamako in Mali wieder. Forderte der Reichtum der Langmatt von der Künstlerin eine Reduktion der Mittel, erlaubt ihr die Kargheit Malis eine farbige Antwort. Der Schlüssel der Kombination liegt im (Mode)-Begriff „Migration“, der hier freilich das „Va-et-Vient“ der Zugvögel meint und zeigt, auf einer Metaebene aber auf Gros’ eigene Reise nach Mali sowie alle Ströme von einer Kultur zur anderen verweist.

„Es empfiehlt sich, das Orakel zweimal zu befragen“ heisst die Ausstellung, denn als der weisse Fuchs der Dogon erstmals für sie übers Zeichenfeld ging, fanden die Deuter keine Antwort und hiessen sie wieder kommen. Die drei Stockwerke bedeuten drei Kapitel. Im obersten geht es um das Erscheinen von „Kouma“, dem Wort. Mireille Gros zeigt indes keine Schriftbilder, sondern in Schichten versiegelte Holztäfelchen mit zeichenhaft herausgekratzten Linien, Punkten, Rhythmen als Sinnbilder für Anfänge und Zusammenhänge. In der Mitte dann die „Migration“, die Vogelneste da, die Züge dort, das Sein und das Fliegen in Farben. Im Parterre schliesslich der Gegensatz zwischen Stadt und Land, die Spannung zwischen rauchenden Schornsteinen (wie bei Boudin), geschäftigem Treiben, Reisfeldern und dem Vogelorakel.

Hans-Trudel-Haus: Bis 2. Nov. Mi-Fr 14-18.30, Sal/So 11-18 Uhr. Langmatt: Bis 16. Nov. Di-Fr 14-17, Sa/So 11-17 Uhr.