Constantino Ciervo Museum PasquArt Biel 2009

Politisch engagiert und doch differenziert

www.annelisezwez.ch       Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 22. April 2009

Das Museum Pasquart zeigt die erste Einzelausstellung von Constantino Ciervo in der Schweiz. Die gesellschaftskritischen Werke des in Berlin lebenden Italieners sind eine Entdeckung!

Kunst und Kulinarik haben eines gemeinsam: Was man nicht kennt, lässt man beiseite. So war es zweifellos der Schweizer Manor-Preisträger San Keller, der das Publikum am Samstag an die Vernissage ins Pasquart lockte und nicht der hierzulande unbekannte, seit 25 Jahren Berlin lebende Constantino Ciervo. Doch nach dem Besuch ist klar:  Die nachhaltigere Wirkung der aktuellen Ausstellungen im PasquArt geht von den  multimedialen Werken des 48jährigen Neapolitaners aus. Fast ist man geneigt von einer anderen Liga zu sprechen.

Die entscheidenden Momente hiefür sind zum einen die differenzierte und intelligente Art und Weise, in welcher Ciervo gesellschaftspolitische Themen aufnimmt, kritisch umsetzt und doch nie einseitiger Ideologie verfällt. „Mich interessiert die Differenz, nicht die Gleichschaltung“, sagt er. Zum andern sind es Reduktion und Präzision, die  seinen technisch anspruchsvollen Werken jene Klarheit geben, die sie visuell und gedanklich fassbar machen. Und zum dritten profitiert Ciervo davon, dass politisch engagierte Kunst  zurzeit auf besondere Aufmerksamkeit stösst.

Was das konkret meint, illustriert zum Beispiel die 2-Kanal-Videoprojektion „Pale-Judea“. Zu sehen ist ein Streitgespräch zwischen einem Isreali und einem Palästinenser; behandelt wird somit ein heisses Thema, das Zündstoff bis zur Zensur beinhalten könnte. Kaum ein Künstler wagt sich kontrovers an den Nahostkonflikt. Ciervo gelingt dies indem er einen einzigen Schauspieler beauftragt, beide Seiten (in Form der rechten und linken Gesichtshälfte) zu verkörpern; nicht zuletzt  weil das Judentum und der Islam dieselben Wurzeln haben.

„Es geht in diesem Konflikt viel mehr um Ökonomie als um Religion“, sagt Ciervo. So entwickelt sich denn der deutsch gesprochene und englisch untertitelte „Zwillings“-Disput  mehr anhand 3000-jähriger Geschichte als an Politik und schafft so eine Diskussionsplattform, in die sich beide Seiten einbringen können. „Trotzdem ist mir schon ausgezählt worden, wie viele Worte ich der einen und anderen Seite zugestehe“, erzählte Ciervo im Gespräch.

Im Zentrum der Ausstellung Ciervos in Biel steht die für Biel entstandene Installation „Perversion of Signs“. Die 1.7 Tonnen schwere Pyramide zeigt auf 84  regelmässig angebrachten Monitoren die Nase-, Mund und Kinn-Partie von 42 Männern und 42 Frauen, die mit ihrer Zunge  mit  farbigem Gelatine-Zucker auf Glas gemalte Piktogramme weglecken. Obwohl sich wohl die meisten Betrachtenden peinlich berührt fühlen, überwiegt die Neugierde, die „Sprache“ der monumentalen, ihrerseits Symbolform tragenden Arbeit zu ergründen.  Die Analyse der Zeichen ergibt eine Vielfalt, die vom Dollar-Zeichen zum Davidstern, vom christlichen Kreuz zum Coca Cola-Schriftzug, von Sichel und Hammer zum Email-Zeichen reicht. An der Wand der Salle Poma findet man, einzeln beleuchtet, Angaben zu den Personen jeglichen Alters,  Bildungsniveaus, Volkszugehörigkeit usw. welche in den Videos zu sehen sind.

Dass Honig etwas mit Verführung zu tun hat, liegt auf der Hand, doch was genau peilt der Künstler an? Im Begleittext  verweist Ciervo auf die uns seit Urzeiten der Evolution eingeschriebene Beziehung zu Zeichen und Muster als ältester Kommunikationsform.  Dass sich Mächte aller Art – von Religionen über Ideologien bis zum Kommerz – dieser quasi anthropologisch verwurzelten Kräfte bedienen, tritt so ins Bewusstsein und ebenso die Perversion, welche Symbole heute im Griff der globalisierten Marktwirtschaft erfahren. 

Weitere Arbeiten des Künstlers wie die „10 Gebote“, „Exodus“ oder  „Lexicon“ mitdenkend, ergibt sich eine künstlerische Haltung Constino Ciervos, die sich um Manipulation, Gleichschaltung und Verflachung tradierten Wissens durch Machthunger und globale Geldgier sorgt.  Dass er dabei politisch äusserst vorsichtig vorgeht, hat wohl mit seinem Charakter, seiner umfassenden  Bildung zu tun, vielleicht aber auch mit dem Umstand, dass er als freiwilliger Migrant in Deutschland immer schon „gezwungen“ war, die unterschiedlichen Regungen seiner Umgebung hellhörig wahrzunehmen.

Vermutlich konnte es ihm nur so gelingen, sich  überregional ins Gespräch zu bringen,  zu wichtigen, internationalen Museumsausstellungen, gar zur Biennale in Venedig eingeladen zu werden. Dolores Denaro lernte den Künstler über ein Berner Sammler-Ehepaar kennen, besuchte den Künstler daraufhin in Berlin und Ciervo packte die Chance, sich erstmals in der Schweiz zu präsentieren, mit grossem und für die Museumsbesuchenden gewinnbringendem Engagement.

Der Katalog zu der bis 14. Juni dauernden Ausstellung erscheint anfangs Mai in der Edition Clandestin. Am 14. Juni (14 h) findet ein von Bernhard Bischoff moderiertes Künstlergespräch statt.

Constantino Ciervo

Geboren 1962 in Neapel
1980-82 Studium der Ökonomie und Politik, Universität Neapel
1982 Beginn der künstlerischen Tätigkeit
1984 Umzug nach Berlin
1988-1991 Studium der Philosophie und Kunstwissenschaft, Technische Universität Berlin
Ab 1991 Ausstellungstätigkeit im In- und Ausland, zuletzt (2008/09) in Berlin, Jerusalem, Skopje und Karlsruhe (ZKM)
1992/2003 Geburt der Söhne Antonio Maria und Fabio
Lebt mit seiner Partnerin (und Managerin) Manuela Lintl in Berlin