Seriously ironic_Kunst aus der Tuerkei_ Pasquart Biel 2009

Mit Ironie dem Ernst ein Schnippchen schlagen

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 27. Juni 2009

Im Centre Pasquart sind zwei Ausstellungen zu sehen: „Collage – Décollage“ und „Seriously Ironic“. Die erste ist die Basis der zweiten. Beide richten ihren Blick auf die Türkei.

Bei Sotheby’s fand im März 2009 die erste Auktion „Turkish Contemporary Art“ statt – das ist ein untrügliches Zeichen, dass der Kunst aus der Türkei zurzeit Beachtung geschenkt wird. Der Hintergrund liegt zum einen im Bestreben der türkischen Republik, ihre Scharnierstelle zwischen Europa und Asien, Christentum und Islam politisch und wirtschaftlich aufzuwerten.

Zum andern, und damit verknüpft, ist es die Förderung der zeitgenössischen Kunst, insbesondere durch die Gründung der Biennale von Istanbul, die seit einigen Jahren als wichtige internationale Plattform für junge Kunst gilt. Das führte in der Folge zu zahlreichen Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst aus der Türkei, unter anderem im Rahmen der Biennale Venedig 2007 und der Frankfurter Buchmesse 2008. Nächstes Jahr wird Istanbul überdies Kulturhauptstadt Europas sein.

Zweifellos sollen all diese Kulturoffensiven dazu beitragen, negative Clichés zur Türkei zu korrigieren. Die Schweiz stand hierbei bisher weitgehend im Abseits. Und so ist es wahrlich ein „Coup“ von Dolores Denaro, dass sie als erste in der Schweiz 14 junge türkische Positionen auf Museumsebene zeigt und diese mit einer französisch-türkischen Zweitausstellung in eine kunstgeschichtliche Tradition west-östlichen Dialogs stellt.

„Gerade als Antwort auf die umstrittene Frankfurter Ausstellung war es mir wichtig“, so Denaro, „nicht einfach türkische Kunst zu zeigen, sondern ein Thema, das sich aufgrund von Atelierbesuchen herausschälte, ins Zentrum zu rücken“. Der Titel der Ausstellung – „Seriously ironic“ – sagt, wo sie fündig wurde: In der ironischen Umsetzung der eminent schwierigen Identitätsfindung der türkischen Kunstschaffenden in dem in so vieler Hinsicht hin und her gerissenen Land.

Ebenso klug wie pragmatisch verbündete sich Denaro mit der türkischen Kuratorin Isin Önol, welche ihr Überblick verschaffte und offene Ateliertüren organisierte. Dass die beiden dabei als junge Frauen schauten und wählten, liegt auf der Hand. In der Auswahl der 14 Positionen sind überdurchschnittlich viele Künstlerinnen. Das ist  nicht zuletzt Ausdruck davon, dass für die türkischen Frauen der Spagat zwischen Tradition und Moderne besonders schwierig ist und ihr Impetus, dies  künstlerisch sichtbar zu machen, entsprechend stark ist. Das kann Qualität bedeuten.

Gemeint ist damit nicht nur die – ausnahmsweise kaum als ironisch zu bezeichnende  – Doppel-Videoprojektion von Selda Asal (geb. 1960), welche Zeugnis von Frauen ablegt, welche zum Ehren-Selbstmord getrieben wurden, jedoch fliehen konnten. Herausragend ist die emotional heftige Arbeit darum, weil sie Dokumentartexte nonlinear verwebt und in eine sanfte, auf Trauer und Sehnsucht basierende Filmebene – es wurde in Schweden gedreht – bettet.

Die Frage nach der Identität kann auch zugleich niedlich und bitterböse sein, etwa im bestickten Kissenobjekt  „Get married, be happy“ von Gözde Ilkin (geb. 1981), bei dem sich der Mann immer mehr füllt und die Frau immer mehr entleert.

Es fällt auf, dass die meisten Künstler und Künstlerinnen in Istanbul leben; keine andere Stadt in der Türkei würde ihnen erlauben, sich künstlerisch ähnlich subversiv zu äussern. Dass dies ein Teil der Problematik des Landes ist, kommt zum Beispiel in dem hymenähnlichen, metallenen Brautaussteuer-Objekt von Hande Varsat (geb. 1983) zum Ausdruck.

Die Werke der männlichen Künstler in der Ausstellung sind durchwegs konzeptioneller, zum Teil raffiniert zwischen präziser Form und verspielter Hintergründigkeit changierend. Etwa in der  auf dem Plakat abgebildeten und im Museum die gesamte Treppe vereinnahmenden Installation von Sakir Gökcebag (geb. 1965), die Hunderte hinter den Zehen abgeschnittene Schuhe aufreiht, deren Kuppen gleichsam unter den Stufen versteckt sind.

Gökcebag ist neben der ein eindrückliches Kopftuch-Video zeigenden Nezaket Ekici einer der wenigen Beteiligten, die im Ausland leben, in diesem Fall in Hamburg. Zahlreiche Kunstschaffende haben jedoch teilweise in Europa oder in den USA studiert oder sie sind im Ausland aufgewachsen und später nach Istanbul zurückgekehrt; von einer türkischen Nationalausstellung kann somit nicht die Rede sein. Das ist mit ein Grund, dass die Kulturunterschiede zwar vielerorten inhaltlich virulent sind, die Arbeiten in der medialen Erscheinungsweise zwischen Video, Fotografie, Malerei, Zeichnung und Installation aber dem internationalen Mainstream entsprechen.

Ausstellung: Bis  30. August 2009. Katalog Verlag für moderne Kunst Nürnberg

Die Beteiligten

Erdag Aksel, Istanbul, geb. 1953 in Izmir
Selda Asal, Istanbul, geb. 1960 in Izmir
Selim Birsel, Istanbul, geb. 1963 in Brüssel
Nezaket Ekici, Berlin/Stuttgart, geb. 1970 in Kirsehir
Leyla Gediz, Istanbul, geb. 1974 in Istanbul (Bild oben)
Sakir Gökcebag, Hamburg, geb. 1965 in Denizli
Gözde Ilkin, Istanbul, geb. 1981 in Kütahya (Bild Mitte)
Devrim Kadirbeyoglu, New York/Istanbul, geb. 1978 in Istanbul
Fehrat Özgür, Ankara, geb. 1965 in Ankara
Serkan Özkaya, Istanbul, geb. 1973 in Istanbul
Hayal Pozanti, Istanbul, geb. 1983 in Istanbul (Bild unten)
Hale Tenger, Istanbul, geb. 1960 in Izmir
Mürüvvet Türkyilmaz, Istanbul, geb. 1968 in Izmir
Hande Varsat, Istanbul, geb. 1983 in Istanbul

Bilder: azw