Aenne Suri Gedächtnisausstellung Biel 2010

Gab der Figur ein neues Gesicht

www.annelisezwez.ch        Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 17. März 2010

Die erzählerischen Figuren von Aenne Suri sind ein Stück Bieler Kunstgeschichte. 2009 starb die Künstlerin, 65-jährig. In der Gewölbegalerie gibt es jetzt einen letzten Blick auf ihr Schaffen.

Es sind insbesondere Aenne Suris Frauenfiguren aus den 1980er-Jahren, die über die Zeit und über die Region hinaus von Bedeutung sind. In eine Ausstellung zum Aufbruch der Frauen zu ihrer eigenen Kunst gehörten Aenne Suris „Törichte Hausfrau“, die „Gratwanderin“ und andere Figuren mehr zweifellos mit hinein. Denn sie lassen das vereinnahmende Bild der Frau als „Muse“, als „Geliebte“ hinter sich und formulieren ironisch und lustvoll den Aus- und Aufbruch der Frauen aus den tradierten Rollen hin zu eigenem, kreativem Bewusstsein.

Es war 1976 als die alleinerziehende Grafikerin quasi als Nebenprodukt ihrer therapeutischen Arbeit mit Behinderten auf die Idee kam, auch selbst modellierend tätig zu werden. Die kleinen szenischen Figurengruppen der ersten Jahre verraten in der Ausdrucksweise die Illustratorin, nehmen thematisch aber bereits das aufbrechende Klima des Feminismus auf. In Biel wird man hellhörig. 1980 erhält Aenne Suri für ihre plastischen Inszenierungen das Anderfuhren-Stipendium und 1981 ist sie bei der „Nationalen“ der GSMBA in Delémont mit dabei.

Es ist indes der Wechsel zu den grösseren, farbig „gekleideten“ Figuren aus Gips und Holzmehl, der aufhorchen lässt. Mit der Reduktion auf das Plastische rückt die Haltung, der Ausdruck, die Bewegung der Figuren in den Mittelpunkt. Sie stehen nun als Kunstwerke für sich selbst. Es zeigt sich in der Gestaltung auch, dass die in den späten 60er-Jahren mit ihrem damaligen Partner, dem Illustrator Jörg Müller, in Paris Lebende sich intensiv mit der Kunst ihrer Zeit befasste. Obwohl eigenständig in Form und Gestaltung, erinnern ihre Figuren an die Pop Art, an Hyperrealisten der 1960er-Jahre wie George Segal oder Diane Hanson oder auch zeitgleiche Arbeiten von Niki de St. Phalle.

Wie das nun in der Gewölbegalerie ausgestellte „Schweigende Paar“ – zwei Rollschuh laufende junge Menschen mit Musikstöpseln in den Ohren – zeigt, beschränkt sich Aenne Suri nicht auf den Aspekt der neuen Alltags-Frau, sondern spiegelt in ihren Arbeiten gesellschaftliche Phänomene in einem viel breiteren Sinn. Das „Schweigende Paar“, das mit etwas moderneren Rollschuhen gerade so gut gestern geschaffen sein könnte, gehört zu den überraschendsten Arbeiten der Ausstellung.

Dennoch sind es die drei „Uneinsichtigen Frauen“  von 1992, die zum Köstlichsten zählen. Sie zeigen drei fast lebensgrosse Frauenfiguren in farbigen Spitalhemden, die sich über einen Handlauf rutschend oder sonst wie springend auf und davon machen. Aenne Suri machte die Figuren im Hinblick auf eine Ausstellung im damals eben erst eröffneten Kunsthaus Pasquart, das bekanntlich früher ein Spital war. Sehr schön zeigt sich an den „Uneinsichtigen“, wie Aenne Suri konkrete Gegebenheiten – das Spital – mit neuen thematischen Inhalten – die Emanzipation – aufzuladen vermochte und so die für künstlerische Qualität so wichtige Doppeldeutigkeit einbringen konnte. Etwas, das ihr zum Beispiel im dreiteiligen „Denkmal für die Frau“ nicht im selben Mass gelang.

Gegen Ende der 1990er-Jahre wird es stiller um Aenne Suri. Die Belastung durch den Beruf als gestalterische Therapeutin vermindert die Kraft im Atelier Eigenes zu schaffen. Als sie 2008 pensioniert wird, kehrt sie jedoch voller Tatendrang in ihr Atelier zurück und man hatte den Eindruck, die Künstlerin stehe am Anfang ihres Alterswerkes. Tochter Lulu Müller unterstützt sie und porträtiert ihre Mutter in einem kleinen Film. Doch tragischerweise diagnostiziert der Arzt im Frühjahr 2009 eine Krebserkrankung und schon im Spätherbst ereilt Aenne Suri der Tod.

Die Ausstellung betont denn auch mit Recht das Unabgeschlossene, zeigt im „Kleinen Gewölbe“ eine Atelier-Situation mit zahlreichen noch unfertigen Arbeiten, die im Falle der kahlköpfigen, unbekleideten „Wartenden“ – fünf auf einer Doppelbank sitzende Figuren –  unverhofft eine „surreale“ Dimension annehmen und nach keiner weiteren Bearbeitung rufen.

Aenne Suri hat kein grosses Werk geschaffen – das sich im Nachlass, in Privatbesitz, im Besitz der Stadt Biel und des Kantons Bern befindliche Oeuvre umfasst vielleicht 50 bis 60 Einzelfiguren, Gruppen und Szenen. Insofern hat die jetzige Ausstellung etwas Abschliessendes. Aber ihre ebenso Humor wie emotionale Verbindlichkeit zeigenden Figuren werden in Retrospektiven zur lokalen Kunstgeschichte als wichtige Werke ihrer Zeit immer wieder aufscheinen.

Gleichzeitig mit Aenne Suri zeigt Conny Burkhalter neue Arbeiten in der Doppel-Galerie an der Bieler Obergasse 4+6. Ihre Bilder suchen mit Form und Farbe sensible Räume zu schaffen, in denen das Auge spazieren kann.

 Ausstellung bis 3. April 2010. Offen: Mi/Fr 14-18, Do 14-20, Sa 10-17 Uhr. Begegnungen: Jeweils Do 18-20 Uhr.

Aenne Suri

Mit einer Zwillingsschwester am 21. März 1944 in Nidau geboren.

Als Mitglied des von Otto Suri gegründeten Bieler Volleyball-Clubs

überrregional als Sportlerin aktiv.

1960-64 Kunstgewerbeschule Biel.

Mit Lebenspartner Jörg Müller mehrere Jahre in Paris.

1968 Geburt von Lulu. 1976 Scheidung.

Bis 2008 als gestalterische Therapeutin in der Klinik Bethesda in Tschugg, später im Brüttelenbad in Brüttelen tätig.

1978 erste Ausstellung in der Galerie Alibi in Biel.

Seit 1980 Teilnahme an den Weihnachtsausstellungen des Kunstvereins.

1990 in der Eröffnungsausstellung des Kunsthaus Pasquart vertreten.

1992 Elisabeth Gerber porträtiert die Künstlerin im Buch „Begegnungen im Atelier“, herausgegeben vom Kunstverein Biel.

1992/94 Ausstellungen im Kunstkeller Bern.

2008 Beteiligung an der Weihnachtsaustellung im Kunsthaus Pasquart.

2009 Tod der Künstlerin im Spätherbst.

Bilder azw:

Aenne Suris „Schweigendes Paar“ von 1988.

„Die Uneinsichtigen“ – 1992.