Vocis terra_Audio_Land Art Projekt Ueli Studer 2010

Die Landschaft in Klängen erkennen

www.annelisezwez.ch      Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 22. Mai 2010

In der Nacht vom 21ten auf den 22ten August 2010 wird der Jurasüdfuss von Tüscherz bis Ligerz im Zeichen von  „vocis terra“ stehen. Ueli Studer wird die Signatur der Landschaft in Klängen hörbar machen.

„Vocis terra ist ein Hoch-Risiko-Projekt“, sagt der Land Art-Künstler Ueli Studer. „Klänge haben im Aussenraum ganz andere Parameter als im Konzertsaal.“ Er erzählt von einem Freund, der auf einer Sandbank der Maggia Klavier spielte und feststellen musste, dass das Publikum nichts hört. Der Wind trug die Klänge weg. „Darum“, so Ueli Studer, „sind wir intensiv daran, die Klangorte in Tüscherz,Wingreis, Twann und Ligerz auszutesten“.

Testen in Bezug auf die Klang-Perspektiven zum einen, als Proben für die mehreren Hundert Mitwirkenden zum andern und nicht zuletzt als Prüfsteine für die Vision des Künstlers. „Vocis terra“ sei nicht ein fertiges Produkt, betont Studer, es sei ein Prozess, der kontinuierlich an der Landschaft einschliesslich Wind und Wetter und Vegatation Mass nehmen müsse. „Ich will mir der ortsspezifischen ’Signaturen’ bewusst werden, um sie zusammen mit den Orts-Leitern in die Intonationen einbinden zu können.“ Es gehe nicht darum, Musik zu machen, sondern mit Klängen den Charakter und die Geschichte der Landschafts-Räume auszuloten.

Künstlerische Herausforderung

„Vocis terra“ – die Stimme der Erde  – ist ein anspruchsvolles Kunstprojekt. Ueli Studers Licht-Installation „Viniterra“ vor 10 Jahren war bis zu einem gewissen Grad Spektakel – man konnte den leuchtenden Rebmauern entlang gehen oder sie vom Schiff aus Revue passieren lassen. –„Vocis terra“ hingegen erfährt nur, wer die Klangorte im Rebberg, am Seeufer, im Dorf, bei der Kirche erwandert, inne hält, auf die „Stimmen“ hört und die  Klang-Räume in ihrem energetischen Dialog mit der Landschaft wahrnimmt. Das entspricht auf kunstgeschichtlicher Ebene exakt der Definition von Klang-Installation wie sie Max Neuhaus 1974 erstmals formulierte. Er sagte, Konzert und Klang-Installation unterschieden sich dadurch, dass letztere nur durch die Bewegung der Hörenden zu Wirkung gelange.

Bezog sich Neuhaus auf Klang-Dialoge mit Architektur, wagt Ueli Studer eine möglicherweise so noch nie realisierte Verbindung von Land Art und Klang. Land Art ist die Verwandlung von Landschaft in Skulptur. In der Klang-Installation wird der  Klang Raum. Diese beiden Momente kombiniert vocis terra. Das ist die künstlerische Herausforderung, das Risiko, aber das Ausserordentliche, das Einmalige.

Eigentlich ist das Projekt nahe liegend. Denn Ueli Studer (geb. 1955) war bis zu einem Unfall 1996 als Musiker (Trompete) tätig. Und man spürt diesen Hintergrund im Gespräch mit dem Künstler. Er weiss, was es bedeutet, wenn er mit Edgar Bridevaux zum Schluss kommt, die Blech-Bläser in  Twann in Ges-Dur spielen zu lassen und aus einem ähnlich reichen Fundus schöpft die Entscheidung, dass nur die menschliche Stimme die ganz besondere Energie auf der „Achere“ ob Tüscherz hörbar machen kann (Leitung: Katharina Holenweg).

Ueli Studer hat aber auch ein ganz besonderes Gespür für die Landschaft; die in Jahrtausenden gewachsene und dabei ebenso von der Natur wie vom Menschen geformte. Schon in Viniterra waren es die vom Menschen gebauten Reb-Mauern, die sich mit einem archaisch-kollektiven Grundempfinden zum Kunstereignis bündelten. Das ist bei „vocis terra“ noch ausgeprägter und vor allem auch kontrastreicher. „Die Landschaft ist gespalten“, sagt Studer. In der Nähe von Kapelle und Schalenstein ob Tüscherz  ist es ein kultisches Empfinden, das Vergangenheit und Gegenwart verdichtet. Die Feuerorgeln von Vera Fabbri ob Wingreis hingegen verwandeln den Lärm der Eisenbahn in Klang-Gegenwart. Die zehn Blechbläser-Gruppen in Twann geben harmonische, aber auch dissonante Signale; sie spiegeln das Leben, das Tun, die Kommunikation. Anders die Atmosphäre rund um die Kirche in Ligerz. Hier weitet sich der Blick. „Erde und Himmel finden gleichsam zusammen“, sagt Studer. Nichts könne das so zum Schwingen bringen wie die Glasharfe (Leitung: Ben Jeger).

Ein wichtiges Fazit der aktuellen Testphase ist die Erkenntnis, dass eine gewisse technische Unterstützung der Live-Acts notwendig ist. Insbesondere in Tüscherz, Twann und Ligerz können die Mitwirkenden nicht stundenlang aussenden. So werden die Klangareale zwischendurch „von selbst“ klingen. In Tüscherz zum Beispiel wird die Solo-Stimme einer Frau zu hören sein. „Für mich war immer klar, dass die Achere weiblich ist“, meint Studer dazu und unterstreicht damit, dass diese technischen Klänge ganz klar als Erweiterungen des Projektes zu verstehen sind.

Noch wartet viel Arbeit auf das beispielhaft engagierte Team rund um Ueli Studer. Viel Logistisches steht an. Es fehlen aber auch noch immer Blechbläser für das Klangareal Twann; die Kontakte mit Musikvereinen und Guggenmusiken führten noch nicht zum erhofften Erfolg. „Es wäre schade, wenn wir hier Abstriche machen müssten“, sagt der Künstler.

Info: Blechbläser, die bereit sind mitzuwirken, mögen sich melden unter studer.melar@bluewin.ch

Link: www.viniterra.ch

 

Ueli Studer

Geboren 1955 in Solothurn

Bis 1996 als Musiker tätig

Lebt und arbeitet in Rüttenen und Twann (früher auch Intragna/TI)

Ab 1998 Beschäftigung mit Licht im Landschaftsraum. Realisierungen unter anderem in der Verena-Schlucht, am  Bielersee (Viniterra), am Schiahorn (Davos), am Dünnern-Wasserfall in Herbetswil (SO), in der La Tène-Bucht am Neuenburger See

2001 Erforschung menonitischer Spuren im Jura (Projekt Bellelay)

2002 Rock Barock – Filmprojekt des Kantons Solothurn für die Expo 02

Landschafts-Signaturen als Abdrucke/Malerei. Ausstellungen in Perrefitte, Kunsthaus Grenchen, Basel

2010 Vocis terra – erste Land Art-Klanginstallation

 

Bildlegenden:

Klangareal in Tüscherz wird die oberhalb des Dorfes gelegene „Achere“ sein.

Probe: Auf der Achere werden drei Gruppen von Stimmen einen Dialog untereinander und mit der Landschaft hörbar machen.