Albrecht Schnider Kunstmuseum Solothurn 2011

Der Zeichenstift als Wünschelrute

www.anneliseszwez.ch     Annelise Zwez in Mittelland-Zeitung vom 17. Jan. 2011

Albrecht Schnider zeigt im Kunstmuseum Solothurn „Die Rückseite des Spiegels“ in Form zeichnerischer Arbeiten auf Papier und skizzenhafter Klein-Skulpturen.

1998 fand eine grosse Ausstellung mit Malerei von Albrecht Schnider (geb. 1958) in Solothurn statt, 2006 eine ebensolche mit neuen Werken im Aargauer Kunsthaus in Aarau und, seit diesem Wochenende, zeigt Solothurn ein Retrospektive der Arbeiten auf Papier sowie der seit 2000 entstehenden Klein-Skulpturen.

Entspricht so viel museale Präsenz der Bedeutung des seit 1989 im Ausland, aktuell in Berlin lebenden Luzerns? Ist Albrecht Schnider ein Star der Szene? Nein, eigentlich nicht, aber er ist ein Künstlertypus, den es fast nicht mehr gibt und darum von Kunsthistorikern, Galeristen und Sammlern hoch geschätzt wird. Er glaubt nicht nur an an den Ernst der Kunst, sondern auch an die Möglichkeit, der klassischen Moderne und ihren Weiterführungen noch heute ein Kapitel hinzufügen zu können.

Nicht gesellschaftliche oder politische Implikationen, nicht multi-mediale Turnübungen interessieren ihn, sondern die Erforschung eines kontinuierlichen malerischen, seit zehn Jahren nun auch dreidimensionalen Werkes. Bescheidenheit und Erhabenheit sind für ihn keine Antagonismen, die sich ausschliessen. Das hat in unserer Informations- und Transformations-Gesellschaft Seltenheitswert.

Das ist aber nicht der einzige Grund, der die sorgfältig eingerichtete Ausstellung legitimiert. Ebenso massgebend ist, dass sie  retrospektiv angelegt ist und insbesondere die Pinsel-Zeichnung als Schlüssel-Medium seines Schaffens zeigt.  In der „Küche“, wie Schnider die grosse Vitrine im Hauptsaal nennt, liegen eine Vielzahl von dicken Zeichenbüchern mit Tausenden von Blättern. Seine grossformatigen Leinwände – die Berglandschaften der 1980er, die Leuchtbahnen der 90er, die Paletten-Gesichter der 2000er-Jahre – präsentieren sich als etwas sehr Fertiges, vermitteln den Eindruck von „Resultat“. Die Zeichnungen nun zeigen auf, dass der lineare Strang im Werk Schniders aus einem Prozess des Loslassens, des möglichst absichtslos über das Blatt und darüber hinaus Streichens entsteht. Und die Motivation aus der Sehnsucht resultiert, im Absichtslosen das Unerwartete und Weiterführende zu entdecken. „Der Zeichenstift ist ihm Wünschelrute“, schreibt Christoph Vögele im Katalog.

Dieselbe Vorgehensweise gilt für den aus Positiv-Negativ-Formen entstehenden, flächigen Strang im Werk des Künstlers. Man erkennt, dass selbst die frühen im malerischen Hype der Berner 1980er-Jahre entstandenen, romantisch-figürlichen Berglandschaften denselben Gesetzmässigkeiten entsprechen wie die späteren, abstrakten Bilder.

Und offensichtlich ist, dass die vorläufig noch skizzenhaft wirkenden, skulpturalen „Linien im Raum“ eine Übersetzung des illusionistischen Zeichen-Raumes in die physische Präsenz der drei Dimensionen darstellen; dann vor allem wenn sie Schnider vor eine Wand stellt.

Zumindest auf den ersten Blick erstaunt nimmt man hingegen die wenigen ins Gegenständliche vordringenden Skulpturen von 2009/10 zur Kenntnis: Ein Kaugummi mit marienähnlicher Form auf dem Greifstöpsel des Deckels einer Keramik-Schüssel, der präzise auf einem weissen Farbkessel aus Kunststoff steht. Erst der zweite Blick lässt die Form, die Fläche, das Volumen als ebenso „abstrakte“ Komponenten erkennen und damit als Parallele zu den flächigen Arbeiten auf Papier. Noch provokativer ist eine mehrwinklige, hölzerne Flächen-Konstruktion, in die ein leicht geschwungenes Küchen-Messer einpasst ist. Ganz offensichtlich ist da Zukunft angesagt.

 

Info: Kunstmuseum Solothurn, bis 10. April. Parallel: „In erster Linie“ – Zeichnungen aus der Sammlung.

Bilder: zvg