Andrea Wolfensberger Übersichtsausstellung in Solothurn 2011
Hören und Sehen in Rhythmus und Form
www.annelisezwez.ch Annelise Zwez in Mittelland-Zeitung vom 3. Mai 2011
Als ihr Sohn einst loslachte, filmte das die Mutter. Dann viel später schaute und hörte sie am PC genau hin, wählte eine Serie von Stills, wandelte sie in Halbbilder und druckte das Diagramm der Tonspur aus. Jetzt hängen die digitalen Bilder des Lachenden als Prints im Kunstmuseum Solothurn, hinter trichter- und kreiselförmigen Skulpturen aus Wellkarton der in den Raum geweiteten und materialisierten Tonspur.
Jusquà ce quil fasse rire (2009) ist charakteristisch für Andrea Wolfensberger. Das Sehen ist für sie nur ein Teil, das Hören nicht alles, Sehen ist auch Hören, Hören auch Sehen. Und dahinter steckt die Komplexität von Wahrnehmung und Kommunikation. Die 1961 in Zürich Geborene, in Waldenburg (BL) Wohnhafte ist eine Forscherin und schreckt darum vor keinem Aufwand auf dem Weg zur Erkenntnis in diesem Fall auf dem Weg zur Form – zurück.
So fädelte sie für Not I mehrere 10 000 unterschiedlich grosse, runde Mikrowellenkarton-scheiben auf lange Schnüre, die nun als Installation in Raum 2 hängen. Hintergrund ist der Film Not I von 1973, in dem Billie Whitelaw einen Text von Beckett liest. Man hört ihre Stimme und sieht in einer Zoom-Einstellung die Sprechbewegungen ihres Mundes: …long after this thought dismissed…she suddenly realized… Wieder stellte sie am PC ein Diagramm her und gab ihm Form. So konnte sie die Film-Idee von Körper und Sprache in Körpersprache und Form erweitern; die physikalischen Parameter als Generator nutzend, um Inhalt, Klang und Rhythmus so zu verbinden, dass etwas Neues, Verdichtetes daraus entstand.
Andrea Wolfensberger präsentiert sich in Solothurn sowohl als Plastikerin wie als Video-Künstlerin in was uns blüht auch als Malerin, aber dies eher als Zugabe. Der rote Faden spiegelt sich in dem Beckett entlehnten Titel der Ausstellung: …then listen again…. Immer geht es ums zweimal hinhören, ums heranzoomen weniger im filmischen, als vielmehr im übertragenen Sinn. Zwei herausragende audio-visuelle Arbeiten zeigen das.
Einst filmte Andrea Wolfensberger auf der Insel Volcano flimmernde Hitze. In Video übertragen veränderte sie 2003 die Laufgeschwindigkeit von jeweils acht Bild-Paketen entlang einem aperiodischen Algorithmus wie sie ihn auch schon in Zahlenbildern erforscht hatte. 45 000 Schnitte nahm die Künstlerin vor obwohl das Resultat nur einen unspektakulären Blick auf eine zitternde Steinwüste zeigt. Man kann die Arbeit mit Aspekten von Unendlichkeit in Verbindung bringen. Man kann sie auch als Psychogramm lesen, lebte die in den 1980ern als grosses Talent Gefeierte doch durch ihre Mutterschaft lange in einer Art selbst verordneter, flirrender Ruhe. Doch dann kam es zur Kooperation mit der Sängerin Marianne Schuppe. Der Videoarbeit ist nun eine Tonspur überlagert, die auf der Basis eines mittelalterlichen Chorstückes Ton-Schicht um Ton-Schicht akkumuliert und anschwellen lässt. Es ist ausgesprochen schade, dass der Ton in Kopfhörer verbannt wurde und Hitzewelle damit nicht jene körperliche, emotionale und raumgreifende Wirkung erreicht, die sie birgt. Gewiss hätte der Sound anderes rücksichtslos durchwirkt, doch wäre das letztlich doch ein Gewinn gewesen.
Eher begreiflich ist, dass die acht-teilige Installation Niemands Frau eine Zusammenarbeit mit der Lyrikerin Barbara Köhler sich über Kopfhörer erschliesst, denn hier durchdringen sich Literatur und Bild als Gleichzeitigkeiten. Während Köhler die Odyssee aus der Sicht der Frauengestalten nacherzählt, zeigt Wolfensberger Einzel-Aspekte eines Videos, das sie drehte während sie im Meer auf ein rotes Schiff zu schwamm.
In weiteren Arbeiten blickt Andrea Wolfensberger zurück, zeigt eindrücklich auf, dass schon die Metallarbeiten von 1990 Klang-Schalen waren, darauf ausgerichtet Töne, Form und Raum zu verbinden, dass schon der legendäre Film zu Staren-Schwärmen über Rom von 1995 Bewegung, Zeit und Form bündelte, ähnlich und anders wie die stehende Welle (2011), die nun den letzten Raum der Ausstellung ausmisst.
Kunstmuseum Solothurn, bis 31. Juli. Publikation: Edizioni Periferia, Luzern. www.kunstmuseum-so.ch
Bildlegenden:
a) Hochformat:
Ausstellung Andrea Wolfensberger im Kunstmuseum Solothurn: Im Vordergrund die Installation Not I (Ausschnitt), im Hintergrund das Video Hitzewelle. Bild: Werner Hannappel
b) Querformat:
Ausstellung Andrea Wolfensberger im Kunstmuseum Solothurn: Im Vordergrund die Tonspur-Skulpturen und die Prints zu Jusquà ce quil fasse rire, im Hintergrund die Installation Not I (Ausschnitt). Bild: Werner Hannappel