Claude Gigon im Musée jurassien des Arts Moutier 2011

Die Kunst ist eine Illusion

annelisezwez.ch         Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 11. März 2011

Es ist Claude Gigons bisher wichtigste Ausstellung. Der 50-Jährige zeigt im Musée Jurassien des Arts neue Bilder, ein Video und eine Installation mit 980 kg weisser Schokolade.

„Es wäre schön, über den Jura hinaus bekannt zu sein, doch was wirklich gute Kunst ist, wird sich eines Tages durchsetzen“, sagt der in Delémont wohnhafte Maler Claude Gigon. Dass er damit seine eigene Kunst meint, wird aus der Ernsthaftigkeit, mit welcher er von seiner Malerei, von der „malerischen“ Skulptur aus weisser Schokolade im Obergeschoss erzählt, klar. Ein solcherart „romantisches“ Künstler-Selbstverständnis ist heute selten geworden. Viele Kunstschaffende sehen sich eher als Akteure der Gesellschaft.

Bezogen auf Claude Gigon lassen sich daraus aber einige interessante Rückschlüsse ziehen. Er nennt seine Ausstellung etwas überraschend „Nuit américaine“; er spielt damit auf François Truffauts gleichnamigen Film an respektive ein Moment des Trugschlusses. Und im Katalog-Interview mit Valentine Reymond – der Direktorin des Musée Jurassien des Arts in Moutier – zieht er das Schlussfazit: Kunst ist eine Illusion.

Damit „erklärt“ er gleichsam, dass mit seiner lasierenden Malweise, welche die Motive –körperlose Mäntel, Schneemänner, bildfüllende Gesichte – unter einem feinen Schleier erscheinen lässt, die  Gleichzeitigkeit von Sein und Nichtsein des Dargestellten gemeint ist. Sie gibt einem in den Kabinetten mit Köpfen, wie sie das Werk Gigons schon lange charakterisieren, das seltsame Gefühl vor Gesichtern zu stehen, die nur in der Vorstellung existieren. Dass er im Gespräch immer wieder das Wort „rêve“ benutzt, deutet zusätzlich darauf hin, dass es sich bei seinen Werken letztlich um sehr persönliche Bildfindungen handelt.

Neuer als die Köpfe sind die „Enveloppes“ von 2009 und 2010, die im Neubau zu sehen sind. Hier handelt sich um Kleidungsstücke, die eine gewisse Plastizität vortäuschen, aber keine Körper beinhalten. Das erste der Reihe zeigt eine Confiseur-Jacke und ist aufgrund der Biographie von Claude Gigon eine Art Selbstporträt, ist doch der Künstler von seinem ursprünglichen Beruf her „Confiseur-Chocolatier“; ein Beruf, den er sehr geliebt habe, wie er sagt und der ihn in den 1980/90er-Jahren in alle Welt führte.

Das Bild rückt aber auch die Vermutung in die Nähe, dass im Grunde alle Bilder von Claude Gigon eine Art Selbstporträts sind;  somit auch die „Renaissance-Mäntel“, die an kostbare Umhänge von Königen und Kardinälen erinnern. So betrachtet, wären dann auch die wiederkehrenden Nähte auf Brusthöhe, die eine Art innere Energie durchblitzen lassen, nicht nur bild-unterteilend gemeint, sondern auch als Durchlass für den „Genius“ des Künstlers selbst.

Die Arbeit, die in Moutier am meisten zu reden gibt, ist die Installation „100%“, die eine Tonne weisser Schokolade als „barocke“ Berglandschaft in einen Altbau-Raum mit Stuckaturen einfügt. Schokolade in der Kunst, ist nichts grundsätzlich Neues, man denke an das Schokko-Bad von Sonja Alhäuser in „Felicità“ im Pasquart im Herbst 2010.

Nie hat jemand aber mit weisser Schokolade gearbeitet, die ja eigentlich gar keine Schokolade ist, sondern Kakao-Butter mit Milch und Zucker. Gerade das reizte den Fachmann Claude Gigon, der ein aufwendiges Verfahren zwischen heiss (flüssig) und kalt (erstarrt) anwenden musste, um die raumfüllende Skulptur, die er als dreidimensionale Pinselstriche versteht, zu realisieren.

Das Ungewohnte, das Verführerische und in der Menge Abstossende sowie das Prozedere der Umsetzung reizen zur Diskussion. Diese bleibt indes letztlich darin gefangen, ohne auf eine übergeordnete künstlerische Ebene zu verweisen. Das heisst, die Installation bietet Gesprächsstoff, ist eine Erweiterung von Gigons Werk in noch unbekannte Zonen, darf aber die primäre Bedeutung der Malerei nicht aus dem Blickfeld verdrängen.

Ähnliches gilt für das Video, das Gigon 2009 für die Ausstellung „Je ne sais quoi“ von Haus am Gern (Barbara Meyer-Cesta/Rudolf Steiner) in Porrentruy geschaffen hat und den Künstler, Sysiphus gleich, als unermüdlich gegen den Strom schwimmenden zeigt.

 

Ausstellung bis 15. Mai 2011. Offen: Mi 16 – 20 Uhr, Do – So 14 – 18 Uhr. Katalog mit Werkeinführung durch Hélène Joye-Cagnard.

 

Claude Gigon

1960 in Porrentruy geboren

1976-79 Lehre als Bäcker-Konditor in Porrentruy

1979-80 Lehre als Confiseur in Vevey

1980-93 Berufstätigkeit in Basel, Bern, San Francisco, Larkspur (USA), Morges

1990 erste Ausstellung in San Franciso

1993/94 Aufenthalt in der Cité des Art in Paris

Lebt und arbeitet seit 1994 mit seiner Familie in Delémont.

Mehrere Ausstellungen im Jurabogen, u.a. 2008 bei Beat Selz in Perrefitte, sowie 2009 bei Duflon&Racz in Bern, 2010 im Lokal-int. in Biel (Aktion Sweetdreams).

Teilzeit-Berufstätigkeit als Geo-Informatiker beim Archäologischen Dienst des Kantons Jura.

 

Bildlegenden:

Claude Gigon: Aus der Serie der „Enveloppes“ (Öl auf Leinwand, 2010, 190 x 142 cm). Bild: zvg

 

Installation: Weisse Schokolade als Modelliermasse. Bild: zvg