www.annelisezwez.ch        Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 14. Mai 2011

Was eigentlich Bern hätte zeigen sollen, ist ab heute im Kunsthaus Grenchen zu sehen: Eine reiche und grosse Retrospektive des Gesamtschaffens von Lilly Keller.

Als das Kunstmuseum Bern 2006 „Sam Francis und Bern“ zeigte, „vergass“ es ausgerechnet die Francis in den späten 1950er-Jahren am nächsten stehende „Schülerin“.  Ein intensiv farbiges, zwischen Form und Geste variierendes Grossformat in der Retrospektive Lilly Kellers im Kunsthaus Grenchen zeigt jetzt eindrücklich, dass die Berner Künstlerin damals auf der Höhe ihrer Zeit war.  Und es lange Jahre blieb. Auch den 80sten Geburtstag und das Erscheinen einer ersten Monographie (2010) liess Bern verstreichen. Da sagte sich Eva Inversini, die (Berner) Direktorin des Kunsthaus Grenchen: „Wenn ihr nicht, dann ich“. Sie packte die Chance das zu Unrecht zu wenig bekannte, riesige plastische und malerische Werk der in Cudrefin am Neuenburgersee lebenden Künstlerin im Überblick zu präsentieren und räumte hiezu alle Räume des Hauses.

In einer assoziativ komponierten Gesamtschau begegnen sich nun die frühen Bilder, vereinzelte Tapisserien, die „Vitrinen“ der 70er, die „Glaslilien“ und Objekte aus den 80ern, die Polyurethan-„Blätter“ und -„Landschaftsreliefs“, die Künstlerbücherund mehr zum beeindruckenden Reigen eines Lebenswerkes. Und dazu feiert das in 4-jähriger Arbeit geschaffene Künstlerporträt des Nidauer Filmers Peter Battanta Première. Eine hervorragende Ergänzung zur Ausstellung, welche die Fülle des in 60 Jahren Geschaffenen nur antippen kann.

Sie sei wie eine „50-Jährige mit Jahrgang 1929“ charakterisierte die WoZ  die vitale Künstlerin diese Woche. Mit Recht. Es ist als müsste Lilly Keller ein Kapitel ihrer Zeit erst noch leben: Die Anerkennung ihres Werkes. Sie bahnt sich seit einiger Zeit an: 2006 füllten ihre raumgreifendsten Arbeiten die grosse Halle des Museums Bickel in Walenstadt,  2010 zeigte René Steiner in Erlach einen Querschnitt und nun dockt Grenchen an die Frühzeit an als Kellers Arbeiten dank Vermittlung von Sam Francis in Bern, Amsterdam, und Tokio zu sehen waren.

Francis habe ihr einst gesagt, ein Bild müsse sprudeln wie ein Quell und dann fertig. Dass ihr gerade dieser Satz in Erinnerung blieb, kommt nicht von ungefähr, denn er trifft das „Beat Generation“- Klima im Bern der 60er-Jahre ins Herz. Die Zeit als sich die Clique zum Kunst-Happening auf der „Lueg“ traf: Luginbühl, von Wattenwyl, Distel, Mumprecht, Dickerhof, Golowin, Szeemann….Meret Oppenheim und Lilly Keller. Wenn der Kunsthallenleiter wenig später zur Ausstellung „When attitudes become form“ sinngemäss schreibt, Kunst etabliere sich heute als Ausdruck der Kreativität des Kunstmachens, so ist das Lilly Keller  in Kombination mit  Francis‘ Leitsatz wie auf den Leib geschrieben und zwar ein Leben lang. Das kreative und spontane Umsetzen von Ideen ist ihr Exilier, stilistisch getragen vom zweiten Aufblühen des Surrealismus in den 60ern einerseits, der Naturnähe ihres von Pfauen bevölkerten Gartens in Cudrefin andererseits.

Nur eine Ausstellung, welche räumlich eine gewisse Weite bieten kann und ebenso kreativ mit dem Gesamtwerk umgeht wie es die Künstlerin in ihrem Schaffen praktiziert, kann ihren Arbeiten gerecht werden.  Wer zu kategorisieren versucht, inhaltliche Leitlinien zeigen will, scheitert (was auch schon geschehen ist). Lilly Keller ist mit dem  männlichen geprägten, kunsthistorischen Begriff des „Werkes“, das sich von A nach B entwickelt, nicht beizukommen. Grenchen gelingt das „Spielen“ vor allem im grossen Saal des Neubaus. Hier zeigt sich auch, wie wichtig für Keller die Begegnung mit Roberto Niederer war, mit dem sie in der Glaserei Hergiswil jahrelang an den Grenzen von Glas als skulpturalem Material tüftelte. Es sind indes nicht nur die „Glaslilien“, welche davon Zeugnis ablegen, sondern zum Beispiel auch ein so „verrücktes“ Objekt wie die „Fernöstliche Sänfte“ (1988), in welchem sie Stahlgitter, Elektrokabel, Glasröhren und mehr mit grosser Lust kombiniert.

Dass die Ausstellung fast zu 100% aus dem Fundus der Künstlerin selbst bestückt ist, erzählt einerseits davon, dass die Künstlerin – mit Ausnahme der Tapisserien der 1950er- bis -8oer-Jahren – nur wenig verkaufen konnte. Es bot der Kuratorin aber auch die Möglichkeit,  selbst Insidern wenig Bekanntes ans Licht zu holen, wie zum Beispiel die Reliefkästen der 1970er-Jahre, die mit gefundenen, oft naturnahen Materialien „Magisches“ beschwören. Die „Maske mit Augen“ und andere Werke verdeutlichen zuweilen, dass Lilly Keller eng mit Meret Oppenheim befreundet war, wobei angesichts der Gleichzeitigkeit ihres Schaffens höchstens von gegenseitiger Beeinflussung die Rede sein kann.

Info: Bis 24. Juli 2011. Mi bis Sa 14-17 Uhr, So 11 – 17 Uhr. Auffahrt, Fronleichnam und Pfingstsonntag 14 – 17 Uhr geöffnet.

 

Bildlegenden:

Frühwerk: Dieses grossformatige Ölbild von Lilly Keller entstand 1960. Bild: zvg

Blick in den grossen Ausstellungsraum. Bild: azw

 

Bis heute an der Arbeit: „Vase“ (Polyurethan, Metall, Holz, Acryl), 2011. Bild: azw