www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Neue Mittelland Zeitung ca. 29. April 2011berryjam.ru

In den 1970ern wetterten die Feministinnen und verbannten das Textile in Grossmutters Nähkästchen. Tempi passati. Eine jüngere Generation von Frauen und Männern hat zu Beginn des 21. Jahrhunderts die „Neue Masche“ entdeckt, materialbetonter, performativer, origineller denn je.

Die kürzlich tödlich verunglückte Eva Ahfus, Direktorin des Museums Bellerive in Zürich, hat das gespürt. Trotz Skepsis seitens ihrer Vorgesetzten, suchte sie mit den Kuratorinnen Tanja Trampe und Mònica Gaspar den roten Faden, der  die neue Lust durch verschiedenste Äusserungsformen von Kunst, Design, Mode, Performance und kollektiven Interaktionen verbindet.

Sie stiess dabei auf die „erneuerte Freude am selber machen“ und entdeckte, dass nicht  mehr das „Was“ entscheidend ist, sondern das „Weshalb“ etwas so und nicht anders entsteht, somit eine starke Subjektivierung:

Für den mit schaumstoff-gefüllter Baumwolle gestrickten „Blue Carpet“ von Bauke Knotterus, der  nichts als ein abstraktes Stück Strickwerk an der Grenze des Realisierbaren ist, arbeiteten bis zu vier Leute mit Nadeln bis zu 4 Meter Länge. Die Gruppe „Pudelskern“  andererseits will  dem Leser mit einem schlangenförmig gestrickten Leucht-Fühler ein „Wesen“, das mitdenkt, zu gesellen.  Während Marion Strunk die Schneeflocken einer Nacht-Fotografie mit Wollfaden und Nadel überstickte, um dem Flüchtigen eine fühlbare Materialität zu geben.

Die Ausstellung ist reich und vielfältig und vergisst auch nicht das Heute im Gestern zu verankern. So findet man auch das herrlich subversive Video „La Motte“ von Rosmarie Trockel, in welchem eine Motte nicht Maschen frisst sondern verstrickt. Oder ein gesticktes Perlencollier von Sophie Täuber-Arp, ja gar ein Gobelin-Kissen von Ernst Ludwig Kirchner, das sich witzig mit dem Gobelin-Bild eines nackten Mannes von Reto Leibundgut unterhält. Querverbindungen zu den überall in Europa auftauchenden Strick-Zirkeln schafft ein Projekt im Aussenraum, das die Besuchenden mit einem „Knitting Kit“ aus dem Museums-Shop erweitern können.

Nicht zuletzt ist auch das Handwerk ein Thema – etwa in den stupenden  Assemblagen fiktionaler Natur-Symbole, die der Appenzeller Ficht Tanner mit einer Stick-Maschine ohne Vorskizzen direkt auf den Basis-Stoff „zeichnet“. Oder im gehäkelten „Pyjamaman und die Menschenfresser“ von Jürg Benninger, die zwischen körperlicher Intimität und „beissender“ Woll-Oberfläche oszillieren.

 

Handwerklich wie intellektuell zu den Highlights gehören die maschinengestrickten Architekturen von Annette Streyl. Insbesondere die nie realisierte „Grosse Halle Berlin“, die als „schlaffe Architektur“ über einer Holzstange hängt. Eher amüsant, aber Ironie und Subversion geschickt vermählend, sind die Arbeiten von Wiedemann/Mettler, darunter grossformatige „Pompons“ an Hundeleinen.

Bis 24.Juli 2011. www.museum-bellerive.ch

Bildlegenden:

Tanja Trampé „in“ der Maschenwand von Isabel Berglund, „Blue Carpet“ von Bauke Knotterus, „Grosse Halle Berlin“ von Annette Streyl. Bilder: azw