Annelise Zwez in Schweizerisches Kunstbulletin  März 2011

 

Anatoly Shuravlev – Temporary Visual Wound

BIEL – Der 1963 geborene „Moskauer Konzeptualist“ Anatoly Shuravlev gehörte 1988 zu den Künstlern, die der einstige Schweizer Botschafter Paul Jolles zur Zeit von Glasnost ans Kunstmuseum Bern vermittelte. Mehrfach hat der 2009 an der Biennale Venedig Vertretene seither bei Urs Meile in Luzern ausgestellt. Seit den 1980ern befasst sich Shuravlev mit „Wahrheit“ und Repräsentation. Er arbeitet hiefür mit Fotografie, mit Malerei und spiegelnden Materialien. Sein Markenzeichen sind Mini-Fotografien, die er aus Zeitschriften respektive ab TV und Internet analog fotografiert,

kopiert und ausschneidet. Oft sind Köpfe erkennbar, prominente und unbekannte. In Venedig wie in Biel erscheinen sie aufgesplittert in Plexiglas-Kugeln respektive als vielhundertfache Spots integriert in blutähnlich applizierte, flüssige schwarze Wand-Malerei. Die emotionale Wirkung geht vom Kontrast der beiden Medien aus, die gleichsam für die Ohnmacht stehen, das Leben und die Realität der Wahrnehmung zur Deckung zu bringen. Der Titel, „Temporary Visual Wound“, meint die messerscharfe Linie, mit welcher er die Salle Poma in ein oben und ein unten teilt, überspannt indes inhaltlich das gesamte Schaffen. Das unterstützen auch die grossformatigen, Foto-Viererblöcke, die mit breiten Pinselgesten überlagerte und refotografierte Sujets zeigen; darunter das Bild eines altmodischen elektrischen Stuhls oder ein tibetisches Tanga-Motiv. Noch weiter geht Shuravlev, wenn er überzählige Fotos zerreisst und zur „malerischen“ Collage fügt. AZW

Þ Centre Pasquart, bis 13. März. Kat.: Verlag für Moderne Kunst Nürnberg (ab 27. Feb.)

Þ www.pasquart.ch

 

Bildlegende:

Die Schweizer Künstlerin Rosmarie Vogt (Scherz/AG)  betrachtet die Ausstellung von Anatoly Shuravlev in der Salle Poma des Centre Pasquart in Biel. Foto: azw