„schwarz auf weiss – realistische Zeichnung heute“. Kunstmuseum Solothurn 2004

Facetten des schwarzen Strichs

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 2. Juni 2004

Die realistische Zeichnung habe in letzter Zeit neue Bedeutung erlangt. Das behauptet die Ausstellung «schwarz auf weiss» im Kunstmuseum Solothurn. Und versucht es anhand von 13 Positionen zu zeigen.

Thematische Ausstellungen sind spannend. Denn sie wagen Thesen. Zum Beispiel die: «In den letzten Jahren haben viele junge Künstlerinnen und Künstler die realistische Zeichnung für sich entdeckt.» Aus dieser persönlichen Erkenntnis heraus hat die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Kunstmuseums Solothurn, Katharina Ammann, die Ausstellung «schwarz auf weiss» herausdestilliert. Mit Werken von Franziska Koch, Zilla Leutenegger, Daniel Schibli, Maja Rikli, Raymond Pettibon, Monica Germann/Daniel Lorenzi u.a.m.

Eine These entwickeln ist gut, sie schlüssig fassen nie einfach. «Schwarz auf weiss» ist denn auch eher ein vibrierendes Feld denn eine feste Form. Die Ausstellung antwortet dann am stärksten, wenn man «realistisch» nicht nur mit gegenständlich gleichsetzt, sondern gleichzeitig mit unmanipulierter Direktheit, die sich durch zeichnerisches «schwarz auf weiss» akzentuiert. Sei es durch harte Kontraste oder – im Gegenteil – durch die Reduktion auf Umrisse. Wobei interessant ist, wie stark die Gegenstandswelt der Pop-Art respektive der zeichnerische Comic den Werken Pate stehen. Stile, welche realistische Direktheit um die Banalität des Alltags erweitern. In den besten Fällen verbünden sich die beiden Aspekte zu bildnerischem Mehrwert, der wider die bunte Bilderflut der Multimedia sticht.

Ein gutes Beispiel sind die kraftvollen schwarz-weissen Lineaturen auf Leinwand des Schotten Paul Morrison (38), dem Shooting Star unter den Ausstellenden. Die Banalität der pflanzlichen Motive steht in wirkungsvollem Austausch mit der beeindruckend kraftvollen Präsenz der Bilder. Intellekt sucht man freilich vergebens.

Beeindruckend sind auch die Scherenschnitte des Deutschen Stefan Thiel (39), der Mode und Naturmotive mit akribischem Fleiss (und Können) in ein schwarz-weisses Netzwerk verwandelt und dabei eine Plastizität erreicht, die (fast) in den Raum ausgreift. Im Gegensatz zu Felix Droese, Kara Walker und anderen Papercut-Künstlern dient der Schnitt bei Thiel nicht der kritischen Erzählung, sondern, ähnlich wie bei Morrison, der verführerischen Macht der Bildwirkung.

«Schwarz auf weiss» ist indes nur bedingt eine internationale Ausstellung; die Schweizer Künstler und Künstlerinnen arbeiten – zufällig oder nicht – differenzierter, inhaltsreicher, allerdings zum Teil zu Lasten der dekorativen Wirkkraft.

Zum Beispiel Loredana Sperini (34), deren Zeichnungen und Stickereien man beim besten Willen nicht mehr als «realistisch» bezeichnen kann. Ausgehend von Fotos von Freunden, zeichnet sie über Linien und Flecken ein energetisch-expressives «Gespräch» von überzeugender Dichte. Ähnlich intim sind auch ihre Stickereien auf ausgedienten, weissen Servietten. Nur: Die Thematik der Ausstellung wird hier eher verunklärt als geklärt.

Eindeutiger sind da die panoramaartigen Querformate von Franziska Furter (32), die schwarz auf weiss grossformatige Explosionswolken zeigen. Möglich, dass sie mit dem Titel «C’ant take my eyes of you» auf unser gebanntes Wieder-und-Wieder-Anschauen von Explosionen in TV-Reportagen (von Kaminsprengungen bis zum 11. September) anspielt.

Nicht unerwähnt seien die Städte-Wandzeichnungen von Ingo Giezendanner (29), die aus einer Vielzahl von lapidaren, wie Netzwerke wirkenden «Ansichten» heraus entstehen und mit diesen in Bezug gesetzt werden.

Besonders ist – für einmal – auch der Katalog, der zu zahlreichen Werken Poster mitliefert. Eine typische Edition-Fink-Produktion? Vielleicht. Die Originalität tröstet sogar darüber hinweg, dass die kunsthistorische Sicht auf das Thema etwas allzu mager geraten ist.