Kim Sooja Han Myung-Ok Kunsthalle Bern 2001

Nähe und Ferne ins Bild gepackt

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 3. Februar 2001

Kim Sooja ist Koreanerin. Als Künstlerin lebt sie in New York. Ihre Videos sind gebündelte Bilder voller Kraft und Ruhe. Bilder, die packen. Die Kunsthalle Bern zeigt die erste Einzelausstellung in Europa.

Ein Fuhrwerk mit farbigen, von einem Netz zusammengehaltenen Stoffbündeln fährt auf auf einer kurvenreiche Strasse den Berg hinan. Wenig Schnee liegt zwischen den kahlen Tannen. Die Schriftzeichen auf einer Affiche am Wegrand verraten, dass die Reise nicht in die Bündner Alpen führt, sondern in asiatische Berge. Die Fuhrhalterin sitzt stoisch auf dem Bock des Gefährts. Das wandfüllend projizierte Video macht die Betrachtenden zu Mitfahrenden, als hätten sie die Kamera in der Hand. Doch Schwenker sind keine möglich; so ist nicht zu verifizieren, um was für ein Gefährt es sich handelt; immer sind da nur die farbigen Bündel, die sich den Schlaglöchern der Strasse folgend hin und her bewegen. Und darin die Rückenansicht der Frau mit dem langen, schwarzen, gebundenen Haar. Der Weg scheint endlos und man möchte endlos mitfahren.

„Es ist eine Filmreise in die Vergangenheit”, sagt Kim Sooja, „ich bin in den Bergen Koreas aufgewachsen”. Sie spricht mit derselben Ruhe und Klarheit, die auch das Video vermittelt. Auf Ost und West angesprochen, meint sie: „An der Akademie in Seoul war die Ausrichtung immer westlich; so hatte ich keineswegs einen Kulturschock als ich 1984 nach Paris und nach Jahren zurück in Korea 1992 erstmals nach New York kam. Vermutlich ist es gerade dieses Westliche im östlichen Gewand, das so packt; das Vertrautsein in etwas Fremdem.

Es sind vor allem Video-Grossprojektionen, die Kim Sooja in Bern zeigt; die älteste (und erste überhaupt) datiert von 1994. Sie zeigt die Künstlerin, wie sie glanzfarbene rote, gelbe, blaue, grüne in einem Waldstück ausgebreitete Laken – koreanische Betttücher – zusammen nimmt und zu einem Bündel schnürt, einer Performance ohne Publikum gleich. Analoge runde Stoffbündel sind auch im Foyer ausgelegt. Sie wirken etwas verloren da, wie Illustrationen, obwohl die Künstlerin interessanterweise sagt, für sie gebe es keinen Unterschied zwischen einem Video und einem Bündel; in beiden seien reale und virtuelle Bilder vernetzt. Zu Wissen gilt hier, dass Kim Sooja ursprünglich Malerin war, bis sie genug hatte vom Abbilden auf der Fläche, zur Farbe in Form von gewobenen Stoffen wechselte und ihre „Bilder” fortan als Rauminstallationen mit farbigen Stoffbahnen gestaltete.

In jüngeren Videoprojekten lässt die Künstlerin die Stoffe weg; ihr dunkel gewandeter Körper ist nun das Medium. Eindrücklich in der (Stoffbahnen gleich) vierfach in einander geschobenen Projektion von „Needle Woman”. Sie zeigen die Künstlerin (wie immer in Rückenansicht) in Tokyo, Shanghai, Delhi und New York, wie sie als „Nadel” auf der Strasse steht und das pulsierende Leben an sich vorbeiziehen lässt. Dabei wählt sie, in Shanghai zum Beispiel, den Bildausschnitt so, dass die Reaktionen der Menschen auf die Frau und die (unsichtbare) Kamera sichtbar sind.

Im Tokyo-Video hingegen, und das macht dieses in seiner Wirkung so emotional dicht, ist nur der Strom der Menschen zu sehen, die dem „Hindernis” Frau scheinbar unberührt ausweichen. Gehen und Stehen werden so am Beispiel des Lebendigen zu Symbolen. Es zeigt sich daran und auch in den Videos, die den Künstlerinnenkörper als Vertikale am Fluss respektive als Horizontale auf dem Berg zeigen, wie bewusst Kim Sooja mit dem Bildausschnitt umgeht; wie sie ihre Bilder komponiert, um diese fast unbeschreibliche Wirkung von Da und Dort, von ganz Hiersein und zugleich Entschweben zu erreichen.

Das Videoschaffen von Kim Sooja steht nicht im Outside der uns vertrauten Kunstgeschichte. Bei den Stoffen fliegen die Erinnerungen unter anderem zurück zur Arte Povera – gerade aktuell zeigt der Italiener Pistoletto in Luzern, wie er schon in den 60er Jahren Kleider als Farbe einsetzte; als Lumpen freilich, während Kim Sooja das „arme” Material als zugleich alltäglich wie kostbar zeigt. Die Städte-Videos wiederum rufen zum Beispiel den Link zu den Stadt-Projekten des Schweizers Beat Streuli in Form von Diaüberblendungen ab. Was die Arbeiten in der Kunsthalle Bern hingegen einmalig macht, ist die Stille, Präzision und Sensibilität, mit welcher die 43jährige koreanische Künstlerin sich und die Welt, Nähe und Ferne, Realität und Vision so verwebt, dass sie – Magneten gleich – Gefässe zum Eintauchen werden.

Zeitfäden – Han Myung-Ok im Projektraum
Die vierte Ausstellung in der Reihe „Sous la Terre, il y a le Ciel“, die Evelyne Jouanno im Projektraum der Kunsthalle Bern kuratiert, zeigt eine Installation der seit 1986 in Paris lebenden Koreanerin Han Myung-Ok. Dass gleichzeitig Projekte von zwei Koreanerinnen gezeigt würden, sei gänzlich Zufall. Dennoch ist erstaunlich wie die beiden Arbeitsweisen trotz gänzlich anderer Methodik und Zielsetzung eine vergleichbare Sensibilität aufweisen, äussere Zeit und innere Weite verbinden und meditative Momente beinhalten. Die gleiche Generation, der gemeinsame Blick als Frau und eine analoge Verbindung von Ost und West wirken durch die künstlerischen Visionen hindurch verbindend. Han Myung-Ok arbeitet ausgesprochen prozesshaft. In jeder Ausstellung legt sie in langer Zeit mit unendlichem Baumwollgarn Schlingen aus, die sich zu Teppichen, ja gar Skulpturen formen. Zeit, Linie und Form werden eins. Als Anhaltspunkte für die Berner Ausstellung dienen der Künstlerin wenige Felsbrocken, die als freier Raster den Rhythmus des Raumes und die Interaktion der Künstlerin mitbestimmen. Hat Kim Soojas Arbeitsweise verführerischen Charakter, in dem sie unmittelbar packt, legt Han Myung-Ok lediglich Fäden aus, um selbst in der Zeit zu gehen.