Hannes Brunner im Centre PasquArt Biel 2009

Auf der Suche nach der gewonnenen Zeit

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 23. Jan. 2009

Das Centre PasquArt steigt  am Samstag, 24. Januar, mit Volldampf ins 2009. Mit Fotografie, Malerei und konzeptueller Skulptur. Der erste Blick gilt den Gedanken-Formen von Hannes Brunner.

Joseph Beuys sagte einst: „Der Gedanke ist Skulptur“. Der 52-jährige Schweizer Künstler Hannes Brunner sagt nicht der Gedanke ist Skulptur, aber man könne Gedanken als Skulpturen haptisch fassbar machen. Sein aktuelles Interesse gilt dabei dem Phänomen der Zeit in einer Epoche, in welcher der reale und der virtuelle Raum sich mehr und mehr verschränken.

„A la recherche du temps gagné“ nennt er seine repräsentative Einzelausstellung im Centre PasquArt. Französisch formuliert, stellt sich der Titel automatisch in Relation zu Marcel Prousts berühmtem Werk „A la recherche du temps perdu“.  Und das ist auch so gemeint. Obwohl die digitale Kommunikation Zeit spart, man somit Zeit gewinnt, haben die meisten Menschen den Eindruck, die Zeit renne ihnen davon und sie würden – wie Marcel in Prousts Roman – nichts mehr fassen können.

Hannes Brunner arbeitet ohne Zweifel an einem für unsere Zeit virulenten Thema. Nur:  Er ist nicht Lebensberater, sondern bildender Künstler! Und wie lässt sich ein solches Thema künstlerisch umsetzen, bildlich darstellen? Sicher nicht in Skulpturen aus Bronze oder Stein!  Nicht gegossen und nicht gemeisselt. Wenn Brunners Materialien so unkünstlerische wie Holzlatten, Karton, Styropor, Draht oder Gerüststangen sind, so sucht er damit bewusst die Flüchtigkeit, die Wandelbarkeit von Raum und Zeit sichtbar zu machen; fragil, verletzlich, unbeständig.

Im Zentrum der Ausstellung, welche die Räume des PasquArt-Altbaus im zweiten Stock sowie die Salle Poma umfasst, stehen zwei Werkgruppen. Zum einen sind es fünf „Zeitmaschinen“, zum anderen ist es eine Raum-Installation mit dem seltsamen Titel „mingle“,  was in etwa Sammelsurium heisst. Die Kapitel sind in Dialog gestellt mit älteren Arbeiten respektive Projekten des Künstlers aus den letzten 23 Jahren. Damit wird weniger auf die Entwicklung von Brunners Schaffen hingewiesen als vielmehr betont, dass sein Werk eigentlich eine Modell-Sammlung ist, ein Archiv von Gedanken, die als kleine oder grosse Skizzen skulpturale Form oder installativen Charakter angenommen haben. Dabei ging es im Laufe der Zeit um so verschiedene Themenstellungen wie Konzerte ohne Musiker, um die Gestaltung von Parkanlagen, um „Stadtwände“, Satellitenschüsseln, ja gar um die Frage ob ein Bürgermeister sein Amt verschenken könne.

Die  aktuellen fünf Zeitmaschinen befassen sich mit der Navigation durch die Zeit, mit Geschwindigkeitsunschärfe, mit Gleichzeitigkeiten, mit dem Körper im digitialen Raum, aber auch der Reflektion. Gemeinsam ist den fünf Raum-Skulpturen, dass sie von Türrahmen ausgehen, die eine Öffnung in einen mentalen Raum signalisieren. Man kann die Objekte theoretisch betreten, aber eigentlich geht es um die Sichtbarmachung von erfühlten Vorstellungen von Bewegungen in einem imaginären Zeit-Raum; gespiegelte, gedehnte, gedrehte, geduckte, gestreckte. Es wird nicht behauptet, sondern das nicht Fassbare zu denken  und zu formen versucht. Als Utopie, als Herausforderung.

Die Grundlage bietet die Installation in der Salle Poma. Hier wird Hermann Minkowski zitiert – der Lehrer von Albert Einstein an der Universität Zürich – der 1909, also vor genau 100 Jahren, postulierte, dass Raum und Zeit nicht eine feste Einheit bildeten, sondern in Wechselwirkung stünden. Eine Erkenntnis, die in der Folge sowohl die Technik wie unser Weltbild gründlich veränderte. Nun ist Brunner aber nicht Wissenschafter,  sondern Künstler, seine Installation keine Illustration, sondern ein „mingle“, das heisst eine Mischung von Assoziationen. So erinnert der Gerüstaufbau im Saal sowohl an Observatorien in Indien, die der Zeitrechnung dienten, wie einer Tribüne, einem Hörsaal oder gar dem Mission Control Center in Houston. Auf der Grossleinwand ist Minkowskis These nur als Abspann zu sehen. Wiederum geht es also um einen mentalen Raum, um die Geschichte sich wandelnder Erkenntnis, um eine Zeit-Reise, die erlebt, wer bereit ist, sich dem Abenteuer „Denken“ auszusetzen; vielleicht auf der Plattform in der Mitte des Raumes stehend und in die Runde schauend.

Es mag erstaunen, dass eine Ausstellung, bei der es sehr um den Dialog von realem und digitalem Raum geht, nicht als High-, sondern als Low-Tech-Inszenierung daher kommt. Nun, ganz freiwillig ist das nicht. Erst kürzlich realisierte Brunner in Dubai eine Arbeit, die im Gegensatz zu Biel sehr stark auf virtuelle Interaktion aufgebaut war. Hier aber setzte das Budget Grenzen und Brunner machte das zur Chance. Denn das Arbeiten mit „Hardware“ erweist sich keineswegs als negativ, denn unser Erfahrungs-Hintergrund ist mittlerweile so digital konditioniert, dass eine handfeste Raum-Körper-Installlation herausfordernder, ja sogar bereichernder ist, als eine Bildschirm-Station mit Tastatur.

Info: Die Vernissage der Ausstellung findet am Samstag,  24. Januar, 17 Uhr statt, zusammen mit der Eröffnung der Ausstellungen von Stéphane Zaech (Museum), Ferit Kuyas und Brad Rimmer (Photoforum) sowie Muriel Décaillet (Espace libre).

Hannes Brunner

Geboren 1956 in Emmenbrücke (LU)
1977-80 Gesamthochschule Kassel (Fotografie und Bildhauerei)
1981 Istituto del Teatro, Barcelona
1987-1993 Als Künstler in Zürich und New York. Zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen, u.a. in der Kartause Ittingen, im Kunsthaus Zürich.
1994/95 Istituto Svizzero di Roma
1995 Nachdiplomstudium in Architektur, ETH Zürich
1997-2003 Professur für Bildhauerei und Projektkunst in Kiel
2002 Meret Oppenheim Preis
Seit 2004 in Zürich. Ausstellungsbeteiligungen im In- und Ausland.