Vernissage Ausstellung Marianne Engel im Engelhaus Twann-Tüscherz
Mitausgestellt: Drei Mosaike von Rita Engel, vier Bilder von Ida Engel
Freitag, 15. Oktober 2021 Annelise Zwez
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Marianne, liebe Rita und – im Geist – Ida
Es war 2013 in der Galerie von Nathalie Ritter an der Dufourstrasse in Biel. In der Ausstellung Werke von Marianne Engel, die mir als schweizweit tätige Kunstkritikerin vom Aargauer Kunsthaus, von der Galerie Rotwand in Zürich längst ein Begriff war und deren geheimnisvolle fotografischen und skulpturalen Werke mich faszinierten. Doch was mich damals in Biel erstaunte: Die Künstlerin war im Gespräch mit Rita Engel – mir von Twann wohlbekannt. Nie zuvor hatte ich Rita Engel an einer Vernissage angetroffen. Dann ging mir ein Licht auf: Engel – Engel. Ich begrüsste die beiden und fragte nach: Ja, so die Antwort von Marianne, Rita Engel ist meine Tante. Und klar war alsobald, die bekannte Schweizer Künstlerin, die sich in ihrem Werk auf ganz eigene Art mit der Natur und unserer Wahrnehmung derselben auseinandersetzt, ist eine Twannerin. Nur kam das noch nie in irgendeiner Form zum Tragen. Als erstes kaufte ich ein bescheidenes Multiple eines «Eisenhut», der sich dank fluoreszierenden Pigmenten nur in der Nacht zeigt, und schenkte die Arbeit der Gemeinde Twann.
Klar war für mich aber schon damals, dieser Beginn muss eine Fortsetzung haben. Nur: in welcher Form? Ich wusste wohl, dieses Bürgerrecht war für die Künstlerin nicht wirklich von Bedeutung; sie hatte zwei Jahre zuvor ein altes Bauernhaus im aargauischen Etzwil, unweit von Mandach, wo sie aufgewachsen ist, gekauft. Für Nichtaargauer*innen: Beide Dörfer sind in der Aare-Rheinschlaufe unweit der Grenze zu Deutschland situiert, da, wo die Aare und der Rhein zusammenkommen. In dieser Gegend zu wohnen machte für die Familie Engel Sinn, war doch Paul Engel, der Vater von Marianne Engel, Wasserkraft-Ingenieur.
Mit dem Bauernhaus in Etzwil erfüllte sich für die Künstlerin ein Traum; schon seit längerem wünschte sie sich eine stärkere, unmittelbarere Verbindung zwischen ihrem Leben und dem Leben von Erde, Pflanzen und Tieren. Hühner zogen nun ein, Kaninchen, Vögel waren sowieso da und leider zuweilen auch der diebische Fuchs. Rebstöcke wachsen im steilen Gelände hinter dem Haus, auch Gemüse, Heilkräuter, Engelwurz und vieles mehr. Es ist nicht ein kultiviertes Gärtchen, nein, wild wächst die Natur durcheinander und nur zu oft muss freigelegt werden, was nicht überwuchert werden soll. Natur hat Kraft hier und von dieser Kraft im Äusseren wie auch in ihrem Inneren will Marianne Engel mit ihren Werken Zeugnis geben. Fotografie, aber auch Naturobjekte selbst und seit einigen Jahren vermehrt auch Reliefs aus glasfaserverstärktem Epoxydharz mit Nachtleuchtpigmenten sind die Medien, die im Zentrum ihres Schaffens und unserer Ausstellung hier stehen.
Dann spielte mir mit meinem Wunsch, Marianne Engel eines Tages mit ihren Werken nach Twann zu holen, in die Hände. Ihre Schwester Kathrin und deren Partner Michael Keller entschlossen sich, auf dem Grundstück der Familie Engel ostseitig des «Haus des Bielerseeweins» eine Wohnstätte mit Werkräumen für sich und ihre kleinen Kinder zu bauen und den bisher schon im Kleinen gepflegten Weinbau auszuweiten und als «engelkeller» zu situieren. Wir werden im Rahmen des Apéros Gelegenheit haben, ihren Wein zu kosten.
Damit rückte auch für Marianne Engel Twann wieder ins Blickfeld und ich konnte es wagen, Sie anzufragen, ob Sie eventuell im Engelhaus einige Werke zeigen würde. Bei einer ersten Besichtigung der Räume 2019 kam dann eine Überraschung. Ich wusste, dass die Wohnbaugenossenschaft ein Bild geschenkt erhalten hatte, das mit J. Engel signiert ist, aber niemand wusste, wer sich dahinter verbirgt. Klar war mir, dass es qualitativ gute Malerei war. Nun Marianne Engel: «Das Bild ist von Ida Engel, meiner Grossmutter». Und weiter: «In unserer Familie gibt es viele Bilder von ihr und ich mochte ihr Kunstschaffen sehr, vor allem auch, weil es so vielseitig ist, Malerei, aber auch gewobene Wandteppiche und Mosaike umfasst.
Die Corona-Pandemie verschob unsere Pläne um ein Jahr. Doch inzwischen hatte ich bei einer der vielen gemeinsamen Zugfahrten mit Rita Engel die Gelegenheit, sie nach Ida Engel zu fragen. Und die Antwort: Ja klar, das war meine Tante und ich war, als ich die Frauenarbeitsschule in Bern besuchte, oft bei ihr und habe auch viel von ihr gelernt. Rita Engel ist vielen als einstige Handarbeitslehrerin bekannt, doch ebenso war sie künstlerisch tätig, machte unter anderem Mosaike. Da weitete sich plötzlich ein richtiger Engel-Kunst-Kosmos. Im Kleinen spiegelt diese Ausstellung diesen Kosmos.
Die Pointe: Ida Engel ist genetisch natürlich keine Engel, sondern eine Gerster-Tochter und über ihre Mutter eine Louis aus Schafis. Doch bekanntlich gingen die Frauen und ihre Herkunft in den Stammbäumen regelmässig verloren. Auch die Rita Engel ist keine geborene Engel, sondern ebenfalls eine Gerster der nächsten Generation. Fragen Sie mich nicht nach den Details, da komme ich ins Schleudern. Sicher ist nur, die Ida Gerster wuchs auf dem Chapf auf.
So kam es, dass die inzwischen mit Paul Engel verheiratete und in Bern lebende Ida Engel-Gerster mit ihren kleinen Kindern während des 2. Weltkrieges aus Sicherheitsgründen längere Zeit nach Twann, auf den Chapf, zurückkehrte. Sie malte damals schon, denn in der überraschend umfangreichen Foto-Dokumentation sind Werke abgebildet, welche die Aussicht aus dem Fenster vom Chapf auf den Bielersee zeigen. Vier Beispiele ihres für die Schweizer Malerei der 1930er-, 40er-, anfangs 50er-Jahre charakteristischen, malerischen Schaffens haben wir in diese Ausstellung integriert.
Auch Rita Engel trägt den Namen ihres Mannes, des Winzers Werner Engel, wohnhaft im Aebischerhaus unweit der Twanner Kirche, da wo die Bieler Künstlerin Daniela de Maddalena kürzlich das dritte Wandbild für das Projekt «Das Weinjahr in Bildern» gemalt hat. Werner Engel hat jedoch nichts mit Paul Engel zu tun. Das sind zwei unabhängige Familienstränge.
Aus ihrem grossen künstlerischen Fundus haben wir drei Werke in die Ausstellung integriert, darunter das für ihr Schaffen relativ späte Mosaik, das einen Frauenkopf zeigt und lange Zeit auf der Weinetikette der Engel-Weine abgebildet war. Typisch für Rita Engels Schaffen ist, dass sie nicht vorgefertigte Steine in verschiedensten Farben verwendete, sondern immer Steine, die sie gefunden hatte, sammelte und dann für ihre Mosaike mit Tiermotiven mit sehr viel Gespür einsetzte. Vielfach stammen die Steine aus den Bündner Bergen, vereinzelt auch aus dem hiesigen Rebberg, aber ebenso aus Südamerika.
Doch kehren wir in den Kern der Ausstellung, das Werk von Marianne Engel zurück. Es war auf ihrer Weltreise nach der Matura, d.h. 1993, dass sie für sich erkannte, dass in der Fotografie viel mehr möglich ist als nur Abbilder zu machen und dass es keineswegs spannend ist, das Offensichtliche, Gängige, sich als «Welt» präsentierende abzulichten. Da steckt schon das Wort «Licht» drin. Licht ist eine Form von Energie. Seit Kindsbeinen hatte sie immer alles fasziniert was leuchtet, was sich im Licht zeigt, dem Licht in der Nacht vor allem.
Zunächst studierte sie zwei Semester Kunstgeschichte. Doch da war nicht, was sie suchte. «Ich habe dann nicht den Fehler gemacht eine Ausbildung für Fotografie zu beginnen; ich musste selber finden, was ich suchte». Und so studierte sie Biochemie an der Universität Zürich. In der Hoffnung, hier etwas über die Prozesse des Lebens zu erfahren. Ihr naturwissenschaftliches Wissen blitzt in ihren Werken indirekt immer wieder auf.
Ihre frühen fotografischen Werke sind in ihrer nahen Umgebung, aber auch auf Reisen – immer nachts – entstanden. Mit Langzeitbelichtungen bündelte sie respektive die Kamera das Restlicht aus dem Dunkeln und liess die Motive sichtbar werden. Als wäre da eine Welt im Schatten, die ihr geheimes Leben zeigt. Und dann zeigte ihr ein Freund eines nachts eine Gruppe von selbstleuchtenden Halimasch-Pilzen an einem Baum. Es war für Marianne Engel nicht unmittelbar, aber in der Folge eine wegweisende Entdeckung. War die Fotografie mit Langzeitbelichtung eine Methode, um unsichtbares Licht künstlerisch umzusetzen, wahrnehmbar zu machen, wurde es nun zusätzlich die Arbeit mit fluoreszierenden Pigmenten. In Installationen, eigentlichen Höhlen, geformt aus Stoffen, begannen Bonsai-Bäume und -bäumchen, kleine und grössere Pilze zu wachsen. Wer bei Licht eintrat war noch nicht gross erstaunt, doch wenn der Sensor das Licht ausschaltete, folgte das grosse Staunen – die kleine Waldwelt leuchtete und versetzte einem gleichsam in eine andere Dimension. Man könnte jetzt Platon, den alten, weisen Griechen, zitieren, der sinngemäss sagte, unsere materielle Welt sei nur der Schatten der eigentlichen Welt.
Seit Marianne Engel in ihrem Bauernhaus in Etzwil lebt, ist ihr Werk in gewissem Sinn körperlicher geworden. Mit Johann und Severin, den beiden Kaninchen, mit den Pflanzen-Reliefs, mit Fotos von Heilkräutern aus ihrem Garten, dem Engelwurz zum Beispiel, oder dem Hornissenbaum treten real erlebte, entdeckte, zu ihr und ihrem Leben gehörende Motive in ihr Schaffen. Ohne freilich früher angewandte Methoden auszuklammern, das Umfassende zu vergessen. Wenn wir in dieser Ausstellung Werke bis zurück 2004 sehen, so ist das keine Ausnahme: «Ich liebe es, mit meinen Werken wie mit einem Repertoire umzugehen und für jede Ausstellung eine etwas neue Geschichte zu erzählen», sagt die Künstlerin.
Dies ist hier – unschwer zu erraten – Twann. Es gibt zum Beispiel im Foyer eine grossformatige Fotografie mit dem Titel «Ahnenmühle», die bereits 2007 entstand und für einen Teil des Publikums von heute abend, unschwer als Ausgang der Twannbachschlucht zu situieren ist, da, wo es früher tatsächlich eine Mühle gab, wobei das Nachtlicht aufgrund der Situation in jener Nacht von 2007 interessanterweise den über Steine fallenden kleinen «Wasserfall» fokussiert und damit zur genannten, realen Mühle den Kreislauf des Wassers, des Lebens, mit thematisiert. Und auch die Insekten, das kleine Reptil, die als Halbkugeln in Epoxydharz gegossen sind, stammen aus dem Twanner Rebberg. Zum Teil hat sie Neffe Orell gefunden und für seine Tante gesammelt. Wie sich auch in der Vitrine und in einem kleinen Mosaik von Neffe Teo zeigt, ist das kreative Gen auch in der nächsten Generation bereits aktiv.
«Ganz schön makaber» meinte Tobias Graden vom Bieler Tagblatt als er kürzlich die Ausstellung vorbesichtigte und schloss auch die Foto von «Severins Grab» in sein Empfinden mit ein. Ich merkte, dass sich das nicht so sehe und widersprach ihm, denn, so meine ich Marianne Engel zu verstehen, wenn der Kreislauf des Lebens ein Ganzes ist, dann gehört der Tod dazu. Mehr noch, der Tod ist ein materieller, im Hier und Jetzt ein realer, oft schmerzhafter, doch nicht ein spiritueller im Sinne des Kreislaufs von Gehen und Kommen. Das ist für mich nicht makaber, sondern berührend.
Es gäbe noch viel zu erzählen, zu bedenken, denn Marianne Engels Werk ist reich und birgt viele Facetten. Doch ich will ihre Aufmerksamkeit nicht überstrapazieren und danke darum fürs Zuhören und stosse nun gerne mit einem Glas «engelkeller»-Wein mit Ihnen an.