30 Jahre Galerie Lotti Michel in Biel

Bewegte Zeit in melancholischem Rückblick

www.annelisezwez.ch Erstpublikation: Bieler Tagblatt, 10.12.2003

Rückblicke sind meist verklärt. Was einem einst einen Schrecken eingejagt hat, bringt im Blick zurück nur ein beredtes Lächeln auf den Plan. Und oft zeigen sie Dinge, die man in der Zeit gar nicht realisiert hat. Die Bieler Galeristin Lotti Michel blickt auf 30 Jahre Galerietätigkeit zurück. 1973 – was war damals nicht alles möglich! Als Folge des 68er-Aufbruchs war die Kunstszene förmlich explodiert. Selbstverwirklichung war die Lebensmaxime.

Die Zahl der Kunstschaffenden nahm ab den späten 60er-Jahren und vor allem in den 70ern exponentiell zu. Als Folge davon entstanden überall in der Schweiz eine Vielzahl von Galerien. Viele von Frauen geführt und oft so eingerichtet, dass sich Haushalt und Galeristinnentätigkeit kombinieren liess. Es galt, die neuen (Frauen)-Freiräume pragmatisch zu erobern. Die Zeitungen folgten der Entwicklung; die bildende Kunst erhielt mehr Platz in den Feuilletons als je zuvor. Damit stieg auch die Zahl der Kunstkritikerinnen.

Nur ganz, ganz vereinzelt gibt es die Galerien von damals heute noch. Und noch viel seltener in derselben Struktur wie einst. Was ist nur so eigen an Biel, dass es hier nicht nur den Gaskessel als einzisge noch bestehendes AJZ gibt, sondern auch zwei der in ihrem Genre allerältesten Schweizer Galerien? Silvia Steiner, die ihre Galerie schon in die 60er Jahren gründete, und Lotti Michel lachten kürzlich miteinander: Hätten wir Madretscher Mädchen damals in den 40er Jahren je gedacht, dass wir einmal Galeristinnen würden.

Nein, sicher nicht, denn keine andere Frauengeneration hat so grosse Sprünge gemacht wie jene der in den 30er- und vor allem dann in den 40er-Jahren geborene. In der Zeit, Ende 60er-, anfangs 70er-Jahre, waren sich viele der „Revolution“ gar nicht bewusst, sie packten einfach die Chance, die im Raum stand. Lotti Michel ebenso wie Silvia Steiner.

Die beiden führten lange die einzigen privaten Galerien in Biel. Dass sie sich nie eigentlich konkurrenzierten, ergab sich daraus, dass Silvia Steiner schnell auf ein nationales Programm einschwenkte, während sich Lotti Michel unter anderem als „Hafen“ für die Künstler der Region verstand. Und damit auch ihre Bedeutung schuf. Die Galerie Lotti Michel war ein Begriff! So wie Künstler wie André Ramseyer, Heinz Peter Kohler, Toni Bögli, Rolf Spinnler, Jacques Minala, Hans Küchler, Coghuf, Danilo Wyss, Martin Christ für Qualität standen.

Dass man das, auch wenn es heute ruhiger her und zu geht an der Pianostrasse 51, nicht vergessen hat, zeigte sich kürzlich an der 180. Vernissage zum 30-Jahr-Jubiläum, wo „tout Biel“ der Galeristin die Reverenz erwies und anschliessend mit ihr in der Rotonde feierte. Mit Musik selbstverständlich – war es doch vor allem früher gang und gäbe, dass an einer Vernissage musiziert wurde und die Musikerstochter Lotti Michel pflegte das stets. Mancher einstige Konservatoriumsschüler hat sich bei ihr damit einen ansehnlichen Batzen verdient.

Es ist zuweilen eine schmerzhafte Erfahrung des älter Werdens, dass jüngere Generationen an einem vorbeisausen. Nicht selten löst dies ein gewisses Gefühl der Heimatlosigkeit aus. Auch Lotti Michel kennt das. Die Galerie-Räume, die einst dem entsprachen, was man sich unter „Galerie“ vorstellte, wollen heute, unverändert wie sie sind, nicht mehr so ganz in den aktuellen Kunstbetrieb passen. Einige Künstler sind bereits gestorben, andere wollen nicht (mehr) ausstellen und auch die Methoden des Kunst Vermittelns und Verkaufens haben sich gewandelt. Doch: Man kann sich auch darüber hinwegsetzen.

Souverän hat susanne muller ihre Zeichnungen, Radierungen und Aquarelle über Norm-Wände und Türen hinweg gehängt. Ihre Räume zeichnenderweise aus den Angeln hebenden Blätter, ihre aufbrechenden Städteansichten, ihre Energien in farbige Bildnotizen verwandelnden Papierarbeiten stehen für Leben, Denken und Tun als Prozess der Bewegung. Sie stehen in der Galerie von Lotti Michel für sich, ortsbezogen aber auch für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunftswünsche. Erstaunlich wie Teile der Wüste „by night“, welche die Künstlerin kürzlich im Centre PasquArt als Installation zeigte, in der Vereinzelung als autonome Bilder wirken.

Dass gerade susanne muller die Jubiläumsausstellung bestreitet, mag erstaunen, hat aber eine Geschichte. Es sind exakt 20 Jahre her, seit susanne muller die Ausstellung zum 10-Jahr-Jubiläum der Galerie bestritt. Damals hiess sie noch Susanne Müller und malte unter anderem expressive, pinselschrift-betonte Landschaften, mit Wasser und Farbe auf Papier. „Es war mir ein Anliegen, ein Zeichen der Solidarität zu setzen“, sagt die Künstlerin, „denn für mich war es vor 20 Jahren wichtig ausstellen zu können und Lotti Michel hat mir die Chance gegeben“. Gibt es ein schöneres Kompliment für eine Galeristin?