Brice Marden Daros Collection Zürich 2004

Ein Star und ein musealer Romantiker

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblat vom 13. August 2003

Wenn Brice Marden auftaucht, wird’s still. Der 65jährige US-Maler ist ein Kunststar, für seine Bilder werden Höchstpreise bezahlt. Wesentliche sind in Stephan Schmidheinys Daros Collection in Zürich.

Wie oft hat man sich in Kirchenkreisen in Basel wohl schon am Kopf gekratzt und sich gefragt, ob man Mitte der 80er Jahre Mardens in jahrelangem Prozess entwickelten Glasscheiben-Entwürfe für das Basler Münster nicht doch hätte annnehmen sollen – mit Sicherheit wären die rot-blau-gelben Lichtscheiben inzwischen Pilgerort der internationalen Kunstszene. Denn die Bilder des 1938 in Bronxville/New York geborenen Malers gehören heute zu den höchstdotierten auf dem Kunstmarkt. Kommen Hauptwerke – von denen es nicht ungezählte gibt – auf den Markt, werden dafür 7-stellige Preise bezahlt. Nicht zuletzt wegen Mardens trotz allem guter Beziehung zu Basel, Museums- Ausstellungen in Basel, Bern und Winterthur sowie der kommerziellen Vertretung Mardens durch die „Thomas Ammann Fine Arts“ in Zürich befinden sich wesentliche Werke des Künstlers in Schweizer Samm-lungen, allen voran in Thomas Schmidheinys Daros Collection. So konkret, dass die Schau-Räume der Daros-Collection im Zürcher Löwenbräu-Areal jetzt einzig in Zusammenarbeit mit zwei Privatsammlern und dem Künstler die erste umfassende Retrospektive des Werkes überhaupt zeigen können.

Das macht stutzig und erhellt zugleich Zusammenhänge. Zum einen fragt man sich, warum noch kein Museum auf die Idee kam, die Dreier- und Vierergruppen von vertikalen und horizontalen Streifen in Öl-Wachs-Technik zeigenden Grossformate der 60er/70er Jahre mit den kalligraphischen Lineaturen der 80er/90er Jahre sowie der farberneuerten Endlos-Schlaufen der Jetzt-Zeit zusammenzubringen. Ganz einfach: Der Künstler hielt die Zeit dafür noch nicht für gekommen. Marden ist bis zu einem gewissen Grad ein Kunststar wider Willen. Er arbeitet äusserst langsam, lässt jeden Schritt reifen indem er ihn malerisch, symbolisch und intellektuell mit sich und der Welt vernetzt wissen will und gibt Bilder oft erst Jahre nach deren Fertigstellung für einen Verkauf frei. Damit verhält er sich in Opposition zum westlichen Kapitalismus und erzeugt so paradoxerweise das Gegenteil: die Verknappung lässt die Preise steigen. Ähnliches macht auch sein von ihm verehrter US-Kollege Cy Twombly (75) und beide sind wohl kaum so asketisch, dass sie den Fünfer und das Weggli nicht geniessen würden.

Für die Rezeption von Mardens fraglos bedeutendem Werk ist dies indes nicht unproblematisch. Wer rüttelt schon an Werken, die mehr als eine Million Schweizerfranken kosten. Niemand, im Gegenteil, jedes Wort des Künstlers wird von den Kunsthistorikern aufgesogen und musealisiert. Man könnte sagen, der Künstler sei sich dessen bewusst und sei darum mit John Yau acht Mal zusammengekommen bis er das im Begleitbuch zur Zürcher Ausstellung publizierte Interview frei gegeben habe. Gleichzeitig stimmt aber auch, was Yau schreibt, nämlich, dass ihm das Schleifen des Textes vorgekommen sei wie ein Echo auf die Arbeitsweise des Künstlers. Diese hat ihre Essenz nämlich just in der Präzision, mit welcher er jede subjektiv erfahrene (erlernte) Erkenntnis zu objektivieren und zu überprüfen sucht. Man kann dies zum Beispiel an einem Satz nachvollziehen, den Marden zu der für seine Werkentwicklung wichtigen Basler Glasscheiben-Zeit sagt: „Wenn man nur mit Horizontalen und Vertikalen arbeitet… und dann zur Diagonalen findet, ist das eine unerhörte Erfahrung. Wie die Erfindung des Verbrennungsmotors. Plötzlich gibt es Perspektive, einen völlig anders gearteten Raum.“

In Kombination mit einem 8-Monate-Aufenthalt in Asien (84/85) wird diese Erkenntnis zur räumlichen Kalligraphie, die sich in den 90er Jahren zu einem sich gelöst verbindenden Netzwerk weiterentwickelt. Das rund 3 x 4,5 Meter grosse Werk „The Muses“ von 1991-1993, das sich in der Daros Collection befindet, ist wohl eines der Hauptwerke der Epoche. Darum, weil es nicht einfach Lineaturen vernetzt, sondern (fast) unsichtbar neun Figuren miteinander tanzen lässt – Figuren, die nicht einfach erfunden sind, sondern symbolisch, rhythmisch und proportional eine Vielzahl von überlieferten Werten integrieren und im Bild zu neuem Mass werden. Diese Gleichzeitigkeit, dieser Glaube an eine kontinuierliche Kulturentwicklung, die sich in Mass und Zahl hält, ist letztlich die Kraft, die in den Werken Mardens wirkt, selbst wenn man sie im Detail nicht kennt (nicht kennen muss). Es ist auch ein idealistisches, ein Schönheitsmoment darin, das Marden selbst bekennen lässt: Ich bin ein Romantiker.

Die neueste Entwicklung ist erstaunlich und zugleich nicht. Die Lineaturen haben sich verfestigt und haben zur Farbe gefunden. Damit ergibt sich unverhofft eine Verbindung zum Frühwerk, das wesentlich mit Farbe – oder auch Nichtfarbe – arbeitete, Farbräume in der Fläche generierte. Und in diesem doppelten Farb-Raum-Moment liegt wohl der Grund, dass Marden jetzt bereit war zur ersten Ausstellung, welche frühe und späte Werke kombiniert und, tatsächlich, zu einem Rund führt wie es noch vor 10 Jahren nicht augenscheinlich geworden wäre.