Môtiers: Freilicht-Stelldich ein der Schweizer Kunstszene 2003

Ein heiteres Künstlerfest

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 1. Juli 2003

Môtiers im Val de Travers ist immer eine Reise wert. Nachdem die Schweizer Jet Set Künstlerschaft da und ihre Zeichen setzte war, doppelt. Doch gewichtig ist die 4. Ausgabe von „art en plein air“ nicht.

Wie schon vor 8, 10 und 12 Jahren sind die Schweizer Künstlerinnen und Künstler dem Charme des Rousseau- und Absinth-Dorfes im Neuenburger Jura erlegen. Mehr als 60 an der Zahl. Zwar heissen sie jetzt nicht mehr André Ramseyer, Schang Hutter oder Marianne Grunder oder wie bei „Môtiers 85“, sondern Emmanuelle Antille, Sylvie Fleury, Fabrice Gygi oder Didier Rittener. Und was sie setzen, sind nicht mehr Skulpturen, sondern Zeichen, oft minimalistische (John Armleder), manchmal poetische (Carmen Perrin), humoristische (Lutz/Guggisberg) oder belanglose (Ben Vautier). Doch dem Ruf des „Champagner“ – aus Môtiers kommt der bekannteste Schweizer Schaumwein – sind sie alle gefolgt.

Das Bild der Auswahl-Jury im Katalog, mehr ein Gäste- als ein Kunstbuch, das Meister Delauchaux (Vater der Veranstaltung) zeigt wie er den Jury-Mitgliedern Jacqueline Burckhardt, Christoph Lichtin, Claudio Moser u.a. ein Cüpli einschenkt, sagt eigentlich alles. Und Olivier Mosset macht es rund: Der hintergründige Inszenator hat die Weltkrieg-Panzersperre („toblerone“ auf französisch) im Wald vor Ort für 0 Franken gekauft und zur Skulptur erklärt. Mit anderen Worten: Für eine Reise nach Môtiers braucht es eigentlich nur Augen, keine Kunst. Auch Didier Rittener meint das; er schrieb auf eine Mauer eingangs Wald mit feingeschwunge-nen, weissen Buchstaben: „Disparaître ici“. „Verschwinden“ hiess es einst auch für Jean-Jacques Rousseau nachdem man ihm die Fenster einschlagen hatte; mit Karton verklebte Scheiben erinnern daran (Christoph Storz). Die andere Geschichte, die immer wieder auftaucht, ist die vom Absinth – Res Ingold nennt seine mobilen Container-Flughafen mitten im Dorf „Green Fairy“ und Brigitte Gierlich/Camilla Schuler evozieren die „Grüne Fee“ mit „literarischen“ Wasserflaschen an der Quelle im Tal.

Irgendwie hat sie etwas Absurdes, diese urbane Kunstversammlung im abgeschiedenen Juratal. Markus Müller (SIEHE BILD!) bringt es auf den Punkt, wenn er gemalte Steine im Wald „auftürmt“, aber auch die Eismänner Castor und Pollux, die bei brütender Hitze in Eisschränken ausharren (Simon Beer) und die „Snowhou“-Fotografien von Silvia Bächli&Eric Hattan (Basel/Paris) erzählen davon. Eine zuweilen unwirkliche Situation erleben die Môtiers-Fans. Da der Parcours stets derselbe ist, tauchen an ganz bestimmten Orten immer wieder Skulpturen auf, die gar nicht (mehr) da sind – etwa Roman Signers Wasser-Stiefel-Uhr, Christoph Rüttimanns farbige Verkleidung der Elektrizitäts-Verteilerstation oder Martin Dislers Vielbrüstige am Dorfbrunnen. Die Augen reibt man sich angesichts der „Fenster“-Skulptur von Gillian White; die Künstlerin hat denselben Standort gewählt wie vor 14 Jahren; so ergibt sich eine Art virtuelle Retrospektive. Auch wenige andere gehören zu den „Getreuen“. Ben Vautier etwa, dessen Sitzbänke heuer keine Probleme haben („ce banc n’a pas de problème“) oder John Armleder, der ein bronzenes Holzscheit in den Wald gelegt hat, während Gattin Sylvie Fleury diesmal mit Unkrauttod eine Station für die Ankunft der Ausserirdischen in die Wiese zeichnete.

Zu den positiven Überraschungen in Môtiers gehört unter anderem Geneviève Favres Ruf der Baum-Frau „T’es sourde“ (eine Audio-Installation); als eine der wenigen Arbeiten kommt sie direkt auf die Besuchenden zu, während die meisten anderen Arbeiten aktiv entdeckt und interpretiert werden müssen. Auch in diese Kategorie gehört das geheimnisvolle Klopf-Konzert von Guillaume Arlaud im Wald; die im Takt an Bäume klopfenden Hämmer erinnern formal allerdings zu sehr an Rebecca Horn und sind für die Bäume selbst möglicherweise eine Tortur. Typisch ist die Installation von San Keller, lautet doch die Anweisung beim Besteigen seines Aussichtsturmes am Waldrand, dass man nach Erreichen der Plattform die Leiter wegstossen müsse und erst nachdem einem ein „Freund“ sie wieder hingestellt habe wieder absteigen dürfe.

Zu den Eigenheiten der Ausstellungen in Môtiers gehören schon seit den 80er Jahren die „falschen“ Kunstwerke – mehr oder weniger geglückte Installationen der Orts-Einwohner; heuer stellt man fest – sie haben dazu gelernt und verunsichern die Besuchenden wohl hier oder dort. Die Sanitärrohre an den Bäumen im Waldstück, welche man möglicherweise für „keine Kunst“ hält, gehören allerdings zu einer der subversivsten Arbeiten im Rundgang; zum Memorial (eine Art Schafott ) für getötete Mäuse der Schwestern Claudia & Julia Müller und Käthe Walser (Untertitel: „Le monde diplomatique“ oder „das Theater des Krieges“).