Bessie Nager im Kunstmuseum Solothurn 2009

Verändert der Tod den Blick auf die Kunst?

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 9. Februar 2009

Eine Woche nach der Eröffnung ihrer Ausstellung im Kunstmuseum Solothurn kam Bessie Nager bei einem tragischen Autounfall ums Leben. Wie erleben wir jetzt ihre Kunst?

Das Besondere an den wichtigsten Werken der Zürcher Künstlerin Bessie Nager (1962-2009) ist ihr Doppelcharakter als Raum-Skulpturen zum einen, als Stücke zum aktiven Gebrauch andererseits. Bekannt wurde Nager in den 1990er-Jahren mit „Clouds“ – eine Art raumfüllende Duvets aus luftig-leichtem Silberstoff, gefüllt mit kleinen Styroporkügelchen – auf denen es zu waten galt. Gefühle der Unsicherheit mischten sich mit der Freude am Tanzen auf einer Wolke.

Auch in Solothurn ist eine dieser „Wolken“ ausgebreitet. Jetzt jedoch in Kombination mit einem hölzernen Kastenstück. In dieses sind mit einer groben Säge die Umrisse Mazedoniens gefräst. Das Loch gibt  Sicht auf vertikale, gleissende Neonröhren, die zum einen die davor liegende „Cloud 9“, zum anderen die rückseitig angebrachten, intensiv farbigen Fotocollagen grossstädischer Hektik erleuchten. „This is your land, this is my land“ hat sie die für Solothurn geschaffene Arbeit benannt; eine der letzten vor dem fürchter-lichen Crash im Sihlwald am 25ten Januar, der sie und eine weitere Person in den Tod riss.

In vielen Werken Bessie Nagers war das Thema der Migration, des unablässigen Unterwegseins der Menschen eine wichtige Triebfeder; stets ambivalent formuliert zwischen Verlockung, Traum, Licht einerseits und Gefahren, Enge, Bedrohung andererseits.

Besucht man die Ausstellung jetzt, um ihren tragischen Tod wissend und ihn als Traurigkeit spürend, verändert sich deren Wahrnehmung unweigerlich. Der auf Dialog ausgerichtete Blick der Künstlerin kehrt zu ihr selbst zurück. Der Blick nach aussen wird zum Blick nach innen. Dass sie der Tod unterwegs ereilt hat, wird symbolisch.

Mit einem Mal ist es Bessie Nager selbst, die auf dem unsicheren Terrain ihrer „Cloud“ die Balance zu halten sucht, sich in den aus Bestandteilen eines alten Zürcher Trams konzipierten Architekturstücken („Les Voyageurs immobiles“) bewegt, die Vogel-häuschen des  getreppten, silbernen, katzenbaumartigen „Skelett“ bewohnt.

Es mag durchaus sein, dass man jetzt in der Wahrnehmung übertreibt, das Video in der aus einer Vielzahl von Reisetaschen gebauten „Transit“-Skulptur, das ein Auto in einem Tunnel unterwegs in blendendes Licht zeigt („Good by my friend, my e-go“) zu eindimensional auf die aktuelle Situation ummünzt.

Gewiss ist aber, dass die geistige, gedankliche Komplexität des Werkes, wie es sich in den drei konzeptuell dicht gestalteten Sälen in Solothurn eindrücklich zeigt, so intensiv wahrnehmbar ist wie nie zuvor. Das Emotionale durchdringt das Rationale. So auch in der aus Eckteilen des erwähnten Zürcher Trams konstruierten „Gondel“. Die rosarote Innenfarbe und die milchigen Fenster, die Ausblick verunmöglichen, machen die begehbare Skulptur zum Mentalraum; die Gleichzeitigkeit von Leben, Bewegung, Aktion und geistiger Spiegelbildlichkeit dringt ins Bewusstsein. So wie es auch im Werk angelegt ist; etwa in der  fröhlichen Lebensbetontheit, mit welcher Kinder in einem computerbearbeiteten Video ihre Reigen tanzen, während in dem beinahe in Farbe aufgelöste Kreisen eines Autos in einem Verkehrskreisel dasselbe Motiv grenzüberschreitend angelegt ist.

Bessie Nager wurde in der Kunstszene früh beachtet; bereits während des Studiums an der Universität respektive der Hochschule der Künste in Zürich erhielt sie erste Stipendien und Preise. Ihre Ausstellungsliste ist beachtlich und ihre Werke im öffentlichen Raum zahlreich. In kurzer Zeit hat sie mit grossem – auch zielgerichtetem – Einsatz ein Werk geschaffen, das sich zweifellos weiter entwickelt hätte, aber keineswegs den Eindruck von etwas Unvollendetem hinterlässt.

Das dokumentiert nicht zuletzt der auch bildlich überzeugende Katalog, der nun – ungewollt und kostbar in einem – zur Bilanz wurde. In der Aktualität wird Bessie Nager nun wohl verschwinden – der Kunstbetrieb verlangt rücksichtslos nach Neuem. Doch in thematischen Ausstellungen wird Bessie Nagers Werk mit seiner zugleich installativen wie skulpturalen und multimedialen Eigenart hoffentlich auch in Zukunft nicht vergessen werden.

Info: Die Ausstellung im Kunstmuseum Solothurn  dauert bis zum 13. April. Der im Verlag für moderne Kunst, Nürnburg erschienene Katalog kostet 36 Franken.

Angaben zu den Bildern:

„Cloud 9“  (1996) und „This is your land, this is my land“ 2009)
„Skelett“ (2009)

Bessie Nager
1962 geboren in Luzern
1984-1991 Studium an der Universität Zürich, lic. Phil. I
1986    F+F, Schule für experimentelle Gestaltung, Zürich
1987-1991 Hochschule für Gestaltung und Kunst, Zürrich, Studienbereich Bildende Kunst
Zahlreiche Stipendien und Preise
Ab 1987 Lehrtätigkeit an verschiedenen Kunsthochschulen
2009 kommt bei einem Autounfall ums Leben
Wichtigste Ausstellungen: Ab 1993 regelmässig bei Bob Gysin, Dübendorf/Zürich, 2000 Stadtgalerie Bern, 2006 Helmhaus Zürich, 2009 Kunstmuseum Solothurn.