„Viniterra” – ein Land-Art Projekt von Ulrich Studer. 04.2000

Die Landschaft im Widerschein ihres Lichtes

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Aargauer Zeitung vom 25. April 2000

Vier Jahre nach der Erleuchtung der Verenaschlucht (Ostern 1996) ist dem in Solothurn und Intragna (TI) lebenden Schweizer Künstler Ulrich Studer (1955) mit der Licht-Zeichnung „Viniterra” von Biel bis La Neuville die Realisierung des bisher grössten Schweizer Land-Art Projektes gelungen.

Karfreitag-Nacht (20./21. April 2000): Im Rebberg von Biel bis La Neuville leuchten eine Vielzahl von hangstützenden Jura-Kalkstein-Mauern im Widerschein von 25‘000 in Alu-Reflektoren gestellten Kerzen. Zehntausende wandern dem Jurasüdfuss entlang und schauen gebannt in die Landschaft, die für eine Nacht aus dem Dunkel herausgetreten ist, um ihr Licht zu zeigen. Von nah betrachtet ist es „Viniterra” – das Land, wo der Wein wächst -, das sich selbst als Ort der Kraft manifestiert: Kerzen, die scheinen, Mauern, die leuchten und Rebstickel, die da und dort zu geduckten Schatten-Figuren mutieren. Von fern (das heisst von einem der kurisie-renden Bielersee-Schiffe aus) ist es die Landschaft des Jurasüd-fusses, die mit Licht-Linien ihre weiche, oft steil abfallende Form in die Nacht zeichnet. Die Geschichte der formenden Gletscher und jene der Menschen, die, vor Jahrhunderten schon, Mauern in den Hang bauten, um die Erde zu halten, erscheinen als Einheit. Und durch die fassbaren Fakten hindurch scheint das Licht der Kerzen, Symbol für die Kraft, die das Sichtbare und das Unsichtbare gleichermassen trägt.

Zwei Jahre hat der 1955 in Rüttenen geborene Künstler Ulrich Studer, unterstützt von seiner Lebenspartnerin Alexandra Mélar, für das Land-Art Projekt „Viniterra” gearbeitet. Und mit ihm, vor allem in den letzten Monaten, eine Vielzahl von freiwilligen Helfern. Ohne sie wäre das bescheidene Budget von 250’000 Franken nicht einzuhalten gewesen. Dass die Eine-Nacht-Installation nach einmaliger Verschiebung in der bisher wärmsten Nacht des Jahres durchgeführt werden konnte, ist emotio–nell nicht anders denn als Fügung zu bezeichnen. Denn wie einst im Solothurnischen, lief auch in der Region Bielersee nicht immer alles rund. Als Studers Crew – zu ihr gehört auch der Solothurner Fotograf Alain Stouder – im Frühjahr 1999 auf der Petersinsel „Viniterra” im Kleinformat inszenierte, schien das zunächst der Endpunkt zu sein; weniger bezüglich behördlicher Bewilligungen als ganz einfach finanziell. Doch dann das kleine Wunder: Die (Wirtschafts)-Region Bielersee erkannte die doppelte Kraft: Die kulturelle und die existenzielle. Der Schweizer Wein kann sich im offenen Markt nur halten, wenn er seine Kultur als Mehrwert einbringt. Und so wurden die Weinbauern der Region zu engagierten Partnern des Künstlers.

Für Ulrich Studer war diese Öffnung nicht einfach – seine Vision war, das Licht der Erde sichtbar machen. Wie viele Land-Art-Künstler vor ihm, wollte er den einsamen Dialog mit der Natur. Doch im Gegensatz zur Wüste New Mexikos, wo Walter de Maria um 1975 sein „Lithning Field” (Blitz-Feld) schuf, ist solches in der Schweiz in grossem Ausmass nicht möglich. Darum fanden die meisten Schweizer Land Art Projekte entweder in musealem Kontext (Christos Verhüllung der Kunsthalle Bern 1968 z.B), oder im Gebirge (Richard Long, Gloria Friedmann u.a.) statt. Doch Studer entschloss sich, den doppelten Weg einzuschlagen und schliesslich wurde „die Dimension Mensch”, wie er selbst sagte, für ihn zum grossen Erlebnis. Und es gelang, das bisher grösste Land-Art Projekt, das je in der Schweiz stattfand, in die Realität umzusetzen.

Wer in der Karfreitagnacht die Menschenmengen in den Carnozets der Weinbauerndörfer am See sah, mochte einen Moment zweifeln, ob „Viniterra” nun ein Spektakel oder eine Kunst-Nacht war. Doch im Dunkel der Rebberge, in der die Menschen wie Schatten kamen und gingen und das Licht die Dramaturgie bestimmte, wuchs die doppelte Ausrich-tung von „Viniterra” nicht nur zusammen. Die Installation verband, was für viele angesichts unablässiger Welt-Kriege schwierig geworden ist, die materielle und die spirituelle Dimension von Mensch und Natur unter‘s Dach desselben Lichtes.

Wermutstropfen bleibt nur ein Punkt: Ulrich Studer hat sich nie ins Betriebssystem Kunst eingeschleust. Und dieses ist so hermetisch, dass, was ausserhalb stattfindet, offenbar nicht Kunst sein kann. Ulrich Studer, wer ist das? Die erste Berichterstattung in den Medien jedenfalls sprach von „Event”, aber kaum jemand wies auf die künstlerische Dimension, die, wenn auch in einer Randregion inszeniert, von ihrer Öffentlichkeit her eigentlich nur mit Christos Reichtstag-Verhüllung vergleichbar ist.

Im Juni erscheint ein Dokumentationsheft.