Das erstaunliche Comeback von Jetzt Kunst

Freilichtausstellung in Schüpfen (zwischen Biel und Bern). Bis Oktober 2005

Vor 20 Jahren machte Jetzt Kunst mit bemalten Fassaden Furore. Nun ist Rolf Zumstein zurück mit einer grossen Freilichtausstellung in Schüpfen BE.

Er muss den richtigen Ton gefunden haben. Obwohl mit keinerlei finanziellen Anreizen versehen und keinerlei Tradition als Referenz, meldeten sich auf Rolf Zumsteins Ausschreibung einer Freilichtausstellung in Schüpfen mehr als 200 Kunstschaffende aus der ganzen Schweiz. So wurde aus der klein geplanten „kulturellen Aktion“ der als Sozialwerk bekannten „gad-Stiftung“ eine der grössten Schweizer Freilichtausstellungen dieses Jahres. Und dies auf einem künstlerisch zwar unterschiedlichen, aber gesamthaft bereichernden, originellen und engagierten Niveau.

Die 55 Arbeiten von 48 Künstlerinnen und Künstlern sind auf einem überschaubaren Parcours vom Bahnhof als Informationszentrum dem Lyssbach entlang bis in die Horbematt und ennet der Bahnlinie zurück ins Dorf platziert. Das macht die Ausstellung dicht; man hüpft quasi von Werk zu Werk. Das können Skulpturen im engeren Sinn des Wortes sein – eine spannungsvoll inszenierte Begegnung von vier Figuren zum Beispiel (Ivo Soldini). Das können Objekte im gewohnten Rahmen von „Natur und Kunst“ sein – als gutes Beispiel der „Himmelstrichter“ von Kari Joller . Das können aber auch lustige, hintersinnige und mehrdeutige, eher konzeptuelle Werke sein – genannt seien David Bürklers drei Bodenplatten: ICH , BIN , HIER oder susanne mullers zwiespältiges Lichtgeflacker in einer dunklen Unterführung.

Bemerkenswert ist, dass die Jury mit Rolf Zumstein als Kopf gänzlich auf Zugpferde verzichtet hat. Es gibt keinen Alibi-Luginbühl, präziser: die beiden Luginbühl-Skulpturen sind von Brutus, nicht von Bernhard; und für einmal stehen seine gliedrig geschnitzten Holz-Kühe am richtigen Ort, am Eingang zu einem Bauernhof. Auch die Arbeit von Hutter stammt nicht von Schang, sondern von Markus: Seine bis zu den roten Zipfelmützen hin eingegrabenen Zwerge in einem Privatgärtchen gehören in die Kategorie „zum Schmunzeln“. Köstlich sind in dieser „Schublade“ auch die naturkundlichen Tafeln von Jan Kaeser, die auf seltene Spezies wie das „Ory Kuniculum“ hinweisen.

Unbekannten Künstlernamen begegnen Insider oft mit einer gewissen Skepsis – auch in Schüpfen gibt es Werke, die man sich nicht zwingend merken muss. Als Gesamteindruck bleibt aber doch ein erstaunlich sicheres Gespür für Qualität, Vielfalt und selbst in nicht neu erfundenen Arbeiten Sinn für Originalität. Da wäre etwa Kurt Baumann aus Aarwangen zu nennen, der ausschliesslich mit Hartplastikbügeln von Einkaufstüten arbeitet. Wer hätte gedacht, dass diese so tausendfach verformbar sind. Eine Entdeckung ist die in Carrara wohnhafte Sibylle Pasche (geb. 1976), die es fertig bringt einem so traditionellen Material wie Marmor und einem so vielbearbeiteten Thema wie dem „Urgrund“ faszinierende Form zu geben. Unbekannt, das stimmt natürlich nicht ganz; Alfonso Hüppi, Christoph Rihs, Johanna Naef, Barbarella Maier, Pavel Schmidt und andere würden dem mit Recht widersprechen.

Heute ist Vernissage. Es werden Gäste aus der ganzen Schweiz kommen, denn die Künstlerinnen und Künstler stammen ebenso aus dem Bündnerland wie aus dem Tessin wie aus dem Wallis wie aus dem Seeland. Ein Event. Das kann dennoch über eine Problematik nicht hinwegtäuschen. Die Ausstellung wurde mit einem Minimalbudget realisiert. So übernahmen die Veranstalter nur gerade die Infrastruktur- und Transportkosten (wobei diese zuweilen nicht unerheblich sind); das heisst die Ausstellung lebt, genau besehen, vom unentgeltlichen, ja mehr noch, vom finanziellen Einsatz der Kunstschaffenden. Zur Freude der Gäste, welche die kind- und rollstuhlfreundliche Ausstellung bis 1. Oktober gratis besichtigen können. Da stimmt doch etwas nicht. Warum sie trotzdem mitmachen? Weil die Skulptur in der offiziellen Kunstszene seit langem ein Dornröschen-Dasein fristet und die plastisch Arbeitenden darum auf Plattformen, wie sie Schüpfen, immerhin in guter Ambiance, bietet, angewiesen sind.

Erst vor wenigen Tagen berichtete das Bieler Tagblatt über Vandalenakte am Skulpturenweg in Nidau/Port. Auch in Schüpfen gibt es Arbeiten, denen man nur ein Heer von Schutzengeln wünschen kann, damit sie den Herbst erleben. Oder anders ausgedrückt: Nur wenn die bisher positive Unterstützung seitens der Bevölkerung anhält und sich jetzt in freiwillige Aufpass-Arbeit wandelt, hat die Ausstellung eine Chance zum positiven Sommer-Kunst-Fest zu werden.

Pläne für den Rundgang sind beim „Avec“ am Bahnhof erhältlich, ebenso der Katalog.

Info:
1982 gründete der Luzerner Rolf Zumstein Jetzt Kunst. In den frühen 80er-Jahren realisierte er unter diesem Namen in der Region Biel zahlreiche Kunstaktionen, so 1985 „Anstadt“, ein damals noch pionierhaftes Fassaden-Mal-Event oder 1990 eine Fotoaktion, bei welcher die an der Marktgasse Wohnhaften ihre Porträts aus den Fenstern hängten. Dann wurde es still. Erst jetzt stürzt sich der „schon als Kind vom Kunstvirus Infizierte“, heute als Geschäftsführer der bernischen „Fondation gad Stiftung“ Tätige, wieder ins Abenteuer Kunst. Indirekt erklärt dies, warum in Schüpfen aus dem Nichts etwas so Verzweigtes entstehen konnte; viele Kunstschaffende hat Zumstein persönlich angeschrieben.