Monika Loeffel in der Kultur.Mühle Lyss

Vernissage-Ansprache

Vernissage-Ansprache für Monika Loeffel anlässlich ihrer Ausstellung „Eintagsfliegen – Pendadaktyloptera und andere Archive aus der Comédie humaine“ in der Kultur.Mühle Lyss am 22. August 2008

Von Annelise Zwez

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Monika

Die „Pentadaktyloptera“. –  Seien Sie ehrlich, haben Sie auf Anhieb gemerkt, dass Monika Loeffels „Eintagsfliegen“ einen etwas sonderlichen Namen haben? Bei Wikipedia heissen die hauchdünnen, langschwänzigen Flügelwesen nämlich „Ephemeroptera“. Und das verstehen wir ja noch, ephemer steckt drin – vergänglich – und den Heli-kopter hören wir auch, was zusammen ein vergängliches Flügelwesen ergibt.  Eigentlich nahe liegend bei Eintagsfliegen. Aber Pentadaktyloptera? – Penta, das ist doch die Fünf – das Pentagramm – das Fünfeck. Und Dactylos – so nannten wir bei der Zeitung früher die Frauen, die mit flinken Händen Texte abtippten. Und den opter – den hatten wir schon in Form des Heli-kopters. Zusammengereimt gibt das also ein fliegendes Fünf-Finger-System, „in L- und in R-Form“, wie die Künstlerin in einem Papier betont. Jetzt ist immerhin schon klar, auf was die Künstlerin anspielt, nämlich die  Powershot-Collection, die fast 1500 linken und rechten Hände der Kallnachern und Kallnacherinne.  Doch warum „Eintagsfliegen“?

Monika Loeffel liebt es, Ideen durch den Labyrinthgarten zu schicken, riskiert, sich dabei auch mal ein bisschen zu verrennen, trifft schliesslich aber doch stets einen Kern.

Beginnen wir darum zunächst an einem ganz anderen Ort.  Hier im Parterre der Kultur.Mühle. Da finden wir die Installation „Royal 5“, bestehend aus einer wassergefüllten, schwarzen Kreisform, auf deren Wasseroberfläche eine Vielzahl von kleinen Figuren schwimmen und einem fast unmerklichen Blitzlicht-Gewitter an der Wand. Kaum hör- und sichtbar bewegt sich das Wasser – ein kleiner Aquarium-Motor sorgt dafür, dass bei einem eingelegten Schlauch einmal Wasser eingesogen, einmal ausgepustet wird. Doch das weiss ich, weil die Künstlerin es mir erklärt hat, nicht weil ich es sehe.

Was meinen Blick bannt, ist das nicht durchschaubare Moment, dass sich immer wieder einzelne Figuren aus den Gruppierungen lösen, einen Moment herumdriften und sich dann in eine neue Konstellation fügen. Es bedarf keiner intellektuellen Analyse, um zu spüren, dass sich da auf einer abstrakten, physikalischen Ebene etwas zeigt, das auch die Weltgeschichte immer wieder bestimmt, nämlich die Veränderung aufgrund komplexer, vielleicht auch zu-fälliger oder „chaotischer“, Interaktionen.

Dieses unsichtbar Wirkende spiegelt sich in dem auf die Wand projizierten Video, das Reihungen von Lichtpunkten zeigt, die blitzartig vorbeihuschen. Noch bevor wir wissen, was es mit dem Video auf sich hat, realisieren wir, dass da zwei Geschwindigkeiten, zwei Materialisationsgrade aufeinandertreffen, die indes irgendwo das eine im andern beinhalten. Das reicht eigentlich schon, aber es ist halt doch spannend, zu erfahren, was es mit den Lichtern zu tun hat und darum will ich es ihnen auch nicht vorenthalten. Umsomehr als es sehr viel mit dem „Motor“ zu tun hat, der Monika Loeffel in ihrer Kunst vorantreibt: Die Neugierde, das Gepacktsein und dann mit unglaublicher Energie auf die Umsetzung des Entdeckten zusteuern.
Also, das war so: Im Einstein-Jahr 2006 zeigte ein Dok-Film, dass man in einem Labor auf dem Jungfrau-Joch versucht, Spuren von kosmischen Teilchen, die so klein sind, dass sie alles durchdringen, sichtbar zu machen. In einem Funken-Kasten werden sie quasi zur Entladung ihrer Energie verführt, was sich als Licht manifestiert  (sorry, das ist wohl sehr laienhaft ausgedrückt, aber immerhin). Monika Loeffel war fasziniert und sagte sich – das muss ich filmen. Also macht sie sich auf, telefoniert, mailt, schreibt bis sie schliesslich die Erlaubnis hat, eine Nacht mit ihrer Kamera im Labor zu verbringen. Und was wir hier sehen, ist das Resultat dieser Nacht.

Künstlerisch geht es bei der Installlation Royal 5 um die Gleichzeitigkeit der beiden Bewegungen – jene auf dem Wasser: träge, langsam, horizontal, erdbestimmt, irgendwie unsere menschliche Dimension betreffend – und jene an der Wand, die völlig unverhofft aufblitzt, verschwindet kaum ist sie da, etwas Fernes, Anderes, Kosmisches andeutend.
Eintagsfliegen. Haben nicht auch sie diese zwei Dimensionen – jene der Materialisation, am Tag, an dem wir sie zu Hunderten herumschwirren und vor allem an den Wänden kleben sehen und jene des Verschwindens, kaum sind sie da gewesen. Und dazwischen unser Staunen, dass Leben so kurz sein kann und doch alle existentiellen Phasen durchläuft.

Es wäre falsch, die philosophische Dimension, die da – sehr bewusst –  anklingt nun gleich zu einem Korsett für die Ausstellung als Ganzes zu machen. Das wäre nicht im Sinn der Künstlerin. Sie dient vielmehr dazu unser Denken und Wahrnehmen einerseits ernst zu nehmen, aber immer auch noch schnell von der anderen Seite her zu betrachten, um dessen Bedeutung entweder zu relativieren oder umgekehrt dessen Bedeutungslosigkeit zu hinterfragen. Das Elixier, das Monika Loeffel dabei anwendet, ist vielfach dasjenige des Humors. Darum geht es hier auch um Pentadaktyloptera und gemeint sind wir, die wir im Angesicht des Kosmos doch wahrlich nicht mehr als Eintagsfliegen sind.

Wenn ich nun auf die weiteren Arbeiten der Ausstellung eingehe, so lasse ich die Religio – die Rückanbindung an das Grosse – beiseite, was nicht heisst, dass sie nicht unsichtbar doch mitschwingt.

So ganz im Sinn der Eintagsfliege, die als Titel einer Ausstellung erstmals im Frühjahr 2008 beim „Joli moi de mais“, dem Festival der Bieler Kunst in der Alten Krone, auftauchte und dort einerseits pragmatisch darauf hinwies, dass es sich um eine Ein-Abend-Ausstellung handelt, andererseits aber gleichzeitig den übertragenen Sinn, in welchem wir das Wort „Eintagsfliege“ brauchen, illustrierte. Zum Beispiel im Zusammenhang mit Zeitungsschlagzeilen, die am nächsten Tag nur noch Altpapier-Wert haben.

Doch Monika Loeffel wäre nicht Monika Loeffel, wenn sie diese Binsenwahrheit nicht sofort wieder ausweiten und hinterfragen würde. Indem sie winzige Zeitungausschnitte wie Schmetterlinge in einer alten wissenschaftlichen Sammlung aufpikst und in einer Vitrine präsentiert. Und dabei en passant fragt, ob denn „Arabische Firma gibt auf“, „Ospel verdient 24 Mio“, „Tarkin im Art Corner“ und „Kind fällt aus Sesselbahn“ nicht einfach nur Variationen menschlicher Verhaltens-muster seien. Genauso wie die Wahl des US-Präsidenten Bush sich in den Welt-Medien spiegelt – in verschiedenen Sprachen, Layouts und Bildern – aber trotz des Globalen letztlich immer dasselbe meint.

Und dann dreht die Denkspirale der Künstlerin weiter  und sie fragt sich, ob sich dassselbe nicht auch in den Vornamen der in einem Jahr in Kallnach, in einer Woche in Biel, in einem Monat in Lyss  Geborenen und Gestorbenen zeige oder in den täglichen Wetterprognosen, Börsenkursen oder in den Todesursachen der Menschen. Und sie kann nicht aufhören – den Wellen des Steins, den man ins Wasser wirft gleich weitet die Künstlerin das Feld der Möglichkeiten, die alle von einem Punkt ausgehen.

Auf die Spitze treibt sie das Thema in der jüngsten Arbeit der Ausstellung, den Blick-Schlagzeilen. Da kommen Slogans wie „Uniprofessor will Haustiere verbieten“ oder „Promis in der Google Falle“ oder „Kinderjagd mit Model-Seiten“ daher als wären es Bibelsprüche zum Aufhängen an der Wand. Mit Goldfarbe sind sie ornamental umrankt und auf der Rückseite ist der Text dazu abgeschrieben als ginge es um die Abschrift der Heiligen Schrift zu Zeiten vor der Erfindung der Druckkunst.

Dass Kunstschaffende Banales durch Kunst aufwerten, ist nichts Neues. Tausend-fach wurden Fragmente aus Natur oder Alltag in Reliquien verwandelt. Doch darum geht es hier nicht – oder zumindest ist das nicht unsere Reaktion – im Gegenteil,  in unserem Empfinden potenzieren die Goldränder, die Assoziation zur Bibel, die Fragwürdigkeit der Schlagzeilen mit denen uns die Blick-Journalisten und andere täglich bombardieren, um ihre Leserzahlen halten zu können. Die Eintagsfliege wird zum Negativbild, die Ironie schmerzt schiergar. Monika Loeffel ist mit dieser Arbeit näher bei Robert Gobers berühmtem Schriftbild „Cats in bag and bag in River“ als bei Spurensuchern und Trash-Künstlern aller Art.

Stellt man die „Eintagsfliegen“ im zweiten Stock des Hauses in Relation zu Monika Loeffels Schaffen wie es sich in den letzten Jahren in der Region immer wieder zeigte, so fallen vor allem zwei Charakteristiken auf: Das Ausufernde und die Liebe zur Statistik. Monika Loeffel – die meisten wissen es – ist von ihrem ursprünglichen Beruf her Zahnärztin, somit geschult, eine gegebene Situation mit Forscherblick zu analysieren und im Vergleich mit Ähnlichem zu klassifizieren und einzuordnen. Wie wir sehen, macht sie das – strukturell betrachtet – auch in der Kunst. Es zeigt sich an ihrem Beispiel einmal mehr wie spannend und ertragreich es sein kann, wenn Kunstschaffende QuereinsteigerInnen sind, wenn sie sich – wie hier – erst nach einem ersten Leben quasi in die Videofach-Klasse der Hochschule in Basel einklinken. Schade, dass der Kunstmarkt das überhaupt nicht so sieht.

Monika Loeffels Kunstschaffen hat viele Gesichter – das heisst formal lässt es sich es sich kaum greifen, Objekte, Fotografie, Video, Schrift, Grafik paaren sich zu verschiedensten, oft installativen Erscheinungsformen. Um es zu erfassen, müssen wir den roten Faden anderswo suchen. Für mich ist der zentrale Antriebsmotor, der die Künstlerin antreibt, weiter und weiter zu gehen eine Art Kippmoment. Ich habe den Eindruck, Monika Loeffel gehe in ihrem Denken, in ihrer Arbeit immer so lange weiter bis sie spüre, dass die Versuchsanordnung, die sie sich zurecht legte, in eine andere Dimension kippe,  dann, wenn sich plötzlich im Kleinen Grösseres zeigt. Wenn es ihr gelingt, mit dem Vehikel Kunst die Grenzen des Alltäglichen zu sprengen. Die Ausdauer, die Monika Loeffel hierbei an den Tag legt, ist ein nicht unwesentlicher Faktor dabei.

Sehr schön lässt sich das an der umfangreichsten Arbeit hier im Haus zeigen, dem fast 1500 Fotos umfassenden Hand-Porträt der Gemeinde Kallnach. Während fast einem Jahr war Monika Loeffel Tag für Tag unterwegs, läutete an den Wohnungs- und Haustüren der Kallnacher und Kallnacherinnen und fragte, ob sie ihr für eine Foto mit ihren Händen vor (oder allenfalls hinter) ihrem Körper posieren würden. Man stelle sich das einmal konkret vor – 1452 Fotos von Händen von Alten und Jungen, Frauen, Männern, kleinen und grösseren Kindern, jugendlichen Mädchen und Burschen, Bauern und Bäuerinnen, auf dem Land lebenden Städtern und Städterinnen usw.  Soziologisches verschiedenster Art, Geopolitisches, Demographisches und vieles mehr lässt sich daran ablesen; auch Kleidungs- und Schmuck-Mode zum Beispiel.

Diese Arbeit ist nicht ganz neu – bereits 2005 zeigt sie die Künstlerin im „Kulturraum“ der Gemeinde Kallnach. Doch was damals stark vom Dorf-Gedanken geprägt war, ist hier nun hier erstmals in den Kunstkontext gestellt und räumlich so breit angelegt, dass sich andere Gedanken in den Vordergrund drängen. Zunächst fällt das Spiel auf, das Monika Loeffel mit der Vielzahl betreibt, indem sie  Kategorien für Gelbe, Blaue, Rote, Grau, Gemusterte, Schriftgelehrte und andere Versammlungen mehr schafft. Die einen klein und in Gruppen, die anderen grösser und in Einzelrahmen, als Postkarten, als Rolle, in Kästchen verschiedener Art, gar als „Schmetterlingssammlung“ präsentiert.

Doch das ist nicht mehr als Spiel mit Variationen. Was bleibt sind die 1452 Fotos und die 50 fehlenden, die zusammen ein Dorf spiegeln. Stellen Sie sich einmal vor, es wären da vielleicht 150 Aufnahmen, vergrössert, vereinzelt, herausgehoben – so wie es in vielen Foto-Serien der letzten Jahre geschah; von Roni Horns Selbstporträts bis zu Manons Rollenspielen „Einst war sie Miss Rimini“, den „Females“ von Jitka Hanzlova, den Jugendlichen von Reineke Dikstra. Es sind aber nicht 150 sondern es sind 1500 und es ist ein ganzes Dorf. Das heisst, das Individuelle wird zurückgedrängt zugunsten des Kollektivs und dieses Kollektiv wird zu einer Einheit, die auf etwas noch Umfassenderes verweist.

Und zwar, so denke ich, in zwei Richtungen: Zum einen wird durch die Vielzahl die Einzelfoto relativiert, wird quasi zur Eintagsfliege. Zum anderen wird aber auch das übergeordnete Thema des Menschen an sich, der Bogen von der Geburt bis zum Tod spürbar, das Kontinuum des sich ewig Repetierenden, nur in „chaotischen“ Dosen Mutierenden. Wie sähen wohl 1500 Händepaare von Pfahlbauern aus und wie jene von Menschen, die in 2000 Jahren leben werden?  Da ist dieses Kipp-Moment, da ist der Motor, der Monika Loeffel antreibt nicht nachzulassen, nicht einfach nur jene zu fotografieren, die an diesem oder jenem Abend gerade zuhause sind, sondern alle.

Es gibt in der Kunst immer wieder Langzeit-Projekte – vor allem im Bereich der Fotografie aber auch des Tagebuchartigen – man denke zum Beispiel an Annelies Strbas fotografische Begleitung ihrer Kinder oder an Hanne Darbovens Kalender.  Monika Loeffel ist da nicht die einzige. Auch Kunst, die mit dem Mittel der Multiplikation arbeitet, ist nicht selten – von Herman de Vries Baumblätter über Niele Toronis Abdrucke des Pinsels Nr. 60 bis zu Walter de Marias „Broken Kilometer“. Die Fragestellungen sind dabei allerdings sehr verschieden  und Monika Loeffels Projekt in hohem Masse eigenständig und einmalig.